Ernst Haeckel an Helene Freifrau von Heldburg, Jena, 9. März 1906
Jena 9.3.1906.
Hochverehrte gnädige Frau!
Für die freundlichen telegraphischem Glückwünsche, die Sie mir zu meinem 72sten Geburtstage zu senden die Güte hatten, sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank! Er kommt etwas spät, weil ich gedacht hatte, ihn der Sendung meines letzten Buches beizulegen, dessen Erscheinen ich von Tag zu Tag erwartete; jetzt endlich ist es fertig angelangt. ||
Nun erfahre ich aber so eben durch unseren Curator, Herrn Geh. Staatsrath Eggeling, daß Sie bereits nach Cap Martin abgereist sind. Ich richte deßhalb diese Zeilen dorthin, während ich mir die Zusendung des Buches bis nach Ihrer Rückkehr vorbehalte. Zum Lesen ist dieses Buch (– außer für specielle Naturforscher-Kreise –) überhaupt nicht bestimmt; es hat bloß historischen Wert, und ist ein unveränderter Abdruck eines Teiles meiner (seit 1866 verschollenen! –) „Generellen Morphologie“ (der Wurzel aller meiner naturphilosophischen Schriften). ||
Wir genießen hier seit 3 Tagen ein fabelhaftes, wolkenloses und fast zu heißes Frühlingswetter, und haben schon zu heizen aufgehört (– bis der böse Nachwinter kömmt –). Wenn Sie jetzt an der herrlichen Riviera entsprechende Temperaturen genießen, muß es schon sommerlich sein.
Sie erinnern sich vielleicht der schönen „Ammerbacher Platte“, des steilen Felsvorsprungs mit herrlicher Waldaussicht ins Saaltal, auf welche ich bei Ihrem hiesigen Besuche Sie und Ihren Durchlauchtigsten Herrn Gemahl (vom Forsthause aus) zu führen die Ehre hatte. || Diese landschaftliche Perle, mein Lieblingspunkt in unserer Umgebung, ist von einigen meiner Freunde heimlich angekauft und mir zum 72. Geburtstage zum Geschenk gemacht worden. Da die betreffende Felswand nebst anstoßendem Acker zu Lichtenhain (S. Meiningen) gehört, bin ich also jetzt „Großgrundbesitzer“ im Herzogtum S. Meiningen, und mithin gehorsamer Untertan Ihres Durchlauchtigsten Herrn Gemahls, dem ich in einigen Wochen noch selbst schreiben werde. Inzwischen verbleibe ich mit den herzlichsten und ehrerbietigsten Grüßen an Sie und an Seine Hoheit, den Herrn Herzog
Ihr dankbar ergebener
Ernst Haeckel.