Ernst Haeckel an Helene Freifrau von Heldburg, Jena, 31. Dezember 1915
Jena 31. Dezember 1915.
Hochverehrte Gnädige Frau!
Indem ich Ihnen für das kommende Neue Jahr 1916 meine besten Wünsche sende, erlaube ich mir zugleich, Ihnen meine letzte, kürzlich erschienene Schrift ergebenst zu überreichen: „Ewigkeit, Weltkriegsgedanken“ u. s. w. – ich habe darin, angeregt durch zahlreiche an mich gelangende Anfragen, den Versuch gemacht, die ungeheuren Erlebnisse des Weltkrieges, welche seit 17 Monaten sich uns tagtäglich aufdrängen, mit den pantheistischen und monistischen Vorstellungen in Einklang zu bringen, welchen Goethe in seinem wunderbaren Hymnus an die „Natur“ (1780) einen vollendeten Ausdruck gegeben hat; einige auf die „Ewigkeit und Individualität“ bezügliche Sätze desselben sind auf der Rückseite meines Titelblattes als Motto angeführt. ||
Als ich das Glück hatte, mit Ihnen und Ihrem unvergeßlichen Herrn Gemahl wiederholt auf Schloß Altenstein und in Meiningen zu verweilen, haben wir in unseren naturphilosophischen Gesprächen eingehenda jene bedeutungsvollen Fragen der „Ewigkeit“ und ihren Zusammenhang mit dem „Kardinal-Problem der Entwickelungslehre“ erörtert. Dabei mußte ich die Tiefe und Klarheit der Weltanschauung bewundern, durch welche sich der geniale Fürst, gleich lebhaft für die höchsten Aufgaben der Wissenschaft wie der Kunst interessiert, auszeichnete.
Seit dem Tode meiner lieben Frau, vor 8 Monaten, leistet mir Gesellschaft meine älteste Enkelin, Else Meyer (jetzt 21 Jahre alt), ein sehr liebes und begabtes Mädchen, voll lebendigen Interesses für Kunst und Wissenschaft.
Mit wiederholten besten Wünschen für Ihr Wohlergehen bleibe ich in aufrichtiger Verehrung
Ihr treu ergebener
Ernst Haeckel. ||
[egh. Widmung, auf der Rückseite ein Zitat aus Goethes „Die Natur“ (Druck):]
Freifrau
Helene von Heldburg
Der würdigen Gemahlin seines
Hohen Gönners, des
in Ewigkeit unvergesslichen
Herzog Georg von Sachsen-Meiningen
in aufrichtiger Verehrung und Dankbarkeit
Ernst Haeckel
Jena 31. Dezember 1915.
a eingef.: eingehend