Ernst Haeckel an Helene Freifrau von Heldburg, Jena, 27. April 1915
Jena 27. April 1915.
Hochverehrte Gnädige Frau!
Für Ihre freundschaftliche Teilnahme an meinem schweren Verluste sage ich Ihnen meinen herzlichsten Dank! Das Ende der teuren Frau, welche Lust und Schmerz meines vielbewegten Lebens treulichst mit mir geteilt hat, war sanft und wurde von ihr selbst als Erlösung von vieljährigem Leiden herbeigesehnt. Zu ihren körperlichen Beschwerden (besonders beängstigenden Herzleiden, Arterien-Verkalkung u. s. w.) traten im letzten halben Jahre die schweren seelischen Leiden des entsetzlichen Weltkrieges: die tiefe Trauer über die barbarische Vernichtung edelster Kultur-Güter und den Verlust vieler tausend junger hoffnungsvoller Menschen; zahlreich auch in den näher stehenden Kreisen unserer alten Bekannten und Verwandten, wie meiner Schüler. ||
Die Eingewöhnung in die neuen Verhältnisse des einsamen häuslichen Lebens wird mir erleichtert durch die Gesellschaft und Fürsorge meiner Kinder, welche noch mehrere Wochen hier bleiben. Anfang Mai zieht meine älteste Enkelin zu mir, Else Meyer aus Leipzig (jetzt 20 Jahr alt). Da sie nicht nur in häuslicher Arbeit und Krankenpflege erfahren ist (– sie diente jetzt ein halbes Jahr als Schwester in Leipziger Lazaretten –), sondern auch bei wissenschaftlicher Begabung und vielseitigen geistigen Interessen mir als frühere Schülerin persönlich sehr nahe steht, werde ich in ihr eine freundliche Hausgenossin für meinen letzten Lebensabschnitt finden.
In treuem und dankbarem Gedenken an die schönen glücklichen Tage, welche mir mit Ihnen, hochverehrte Frau, und mit Ihrem unvergeßlichen Herrn Gemahl zu verleben vergönnt war, bleibe ich stets Ihr
treulichst ergebener
Ernst Haeckel.