Ernst Haeckel an Georg II., Herzog von Sachsen-Meiningen, Jena, 4. April 1894
Jena 4.4.1894.
Durchlauchtigster Herr Herzog!
Für Ihr gütiges Telegramm aus Florenz, das mich sehr erfreut hat, kann ich nicht unterlassen, Ew. Hoheit meinen freundlichen Dank auszusprechen. Meine aufrichtigen Glückwünsche zu Ihrem Geburtstage hätte ich Ihnen vorgestern eigentlich lieber persönlich als telegraphisch überbracht; umso mehr als das wunderbar schöne Frühlingswetter sehr zu einem hesperischen Ausflug lockte. ||
Wir hatten dies Jahr im Saalthal einen ganz exceptionellen „Marzo-Pazzo“, ganz vom Charakter des Ober-Italischen, den Sie jetzt genießen: seit 3 Wochen kein Wölkchen an dem tiefblauen Himmel, und keine Heizung im Zimmer! In unserem schönen Forst blüht alles durcheinander: Daphne (Febr.), Hephatica u. Viola (März), Pulsatilla u. Gagea (April), Anemone u. Sesleria, Carex etc. (Mai). Die schöne Flora ist offenbar über die Jahreszeit im Unklaren (– wie die germanische Menschheit über die vielen Überraschungen des „Corso nuovo“). ||
Der tapfere Widerstand, den ich den transalpinischen Verlockungen und der zu Ostern stets sich meldenden Unruhe des Wandervogels entgegengesetzt habe, ist einigermaßen dadurch belohnt, daß ich mit der größeren phylogenetischen Arbeit, an der ich seit einigen Jahren sitze, ein hübsches Stückchen vorwärts gekommen bin. Ich hoffe nun den Sommer etwas mehr freie Zeit, und somit auch die Muße zu finden, den von Ew. Hoheit gütigst gestatteten Besuch in Meiningen oder Altenstein im Laufe des Sommers auszuführen. ||
Mit großem Bedauern habe ich erfahren, daß die Gesundheit Ihrer Gnädigen Frau Gemahlin immer noch Einiges zu wünschen übrig läßt; hoffentlich wird sie im schönen südlichen Frühling bald wieder ganz hergestellt sein.
Indem ich Ew. Hoheit und Ihrer Gemahlin meine besten Wünsche für vollen und ungetrübten Genuß Ihrer schönen Reise wünsche, bleibe ich in aufrichtigster Verehrung
Ihr ergebenster
Ernst Haeckel.