Ernst Haeckel an Arnold Dodel-Port, Jena, 26. Juni 1906
Zoologisches Institut
der Universität Jena.
Jena 26.6.1906.
Hochverehrter Herr College!
Ihre freundliche Mitteilung, daß mein Verleger, Dr. Köhler in Gera, Sie ersucht habe, für die neue Ausgabe meiner „Wanderbilder“ einen einleitenden Aufsatz unter dem Titel „Haeckel als Erzieher“ zu schreiben, hat mich sehr überrascht und bei meiner Frau große Heiterkeit erregt. Letztere behauptet (– wohl mit Recht –), daß ich ein ganz miserabler Pädagoge sei und hat von Anfang an (seit 38 Jahren) die Erziehung unserer drei Kinder als ihr ausschließliches Recht in Anspruch genommen; und ich habe sie ihr großenteils überlassen, da unsere Erziehungsprincipien vielfach in Widerspruch stehen. ♀ > ♂ ||
Überhaupt bin ich im ganzen Gebiete der praktischen Philosophie, – in Politik, Sociologie, Ethik, Paedagogik – unerfahren und unsicher im Urteil, während meine monistischen Überzeugungen im Gebiete der theoretischen Philosophie und Weltanschauung seit 40 Jahren unerschüttert fest stehen.
Auch in meiner akademischen Lehrtätigkeit, die sich schon über 90 Semester erstreckt, und die jetzt ihrem Ende nahe ist, habe ich sehr oft das bedrückende Gefühl empfunden, daß mein Lehrtalent sehr ungenügend ist, und daß ich beim besten Willen die Studenten nicht befriedigend anleiten kann. ||
Aus diesen Gründen möchte ich Sie bitten, die Ihnen von Dr. Köhler zugemutete Bemühung zu unterlassen und ihm zu schreiben, daß Sie das dafür erforderliche Material nicht auftreiben könnten. Ich bin ohnehin mit der übertriebenen Reclame des Dr. Köhler für meine, von ihm herausgegebenen „Wanderbilder“ nicht einverstanden, und habe besonders durch seine Reclame-Broschüre: „Die Sonne von Jena“ viel Verdruß gehabt. Was wirklich an meiner Person und meinen Arbeiten zu loben ist, das ist bereits in den drei publicirten „Lebensbildern“ (von Bölsche, Breitenbach, Neumann) zur Genüge mitgeteilt. ||
Mit meiner Gesundheit geht es seit April wieder etwas besser, und ich habe die Vorlesungen (die ich den ganzen Winter aussetzen mußte) teilweise wieder übernehmen können. Aber die alten Kräfte kehren nicht wieder und ich fürchte, daß mein schwaches Herz mich nicht wieder zu anhaltender Arbeit kommen läßt. Daher kann ich auch leider für unseren „Monisten-Bund“ wenig actives leisten.
Hoffentlich geht es Ihnen gut. Mit besten Grüßen an Sie und an Fräulein Hannah Dorsch
Ihr ergebener
Ernst Haeckel.