Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Richard Semon, Jena, 25. Dezember 1905

Jena 25.12.1905.

Lieber Freund Semon!

Ihre freundlichen Glückwünsche zum Jahreswechsel erwidere ich von Herzen! Es freut mich, daß sie und Ihre liebe Frau von dem herrlichen Rapallo ebenso entzückt sind, wie ich vor 2 Jahren; wir wollten auch nach Savoy Hotel übersiedeln, blieben aber leider (– durch den Ballast meiner Bibliothek und des „Gesetz der Trägheit“ gefesselt! –) in dem mäßigen Eden-Hôtel 4 Monate sitzen, wo wir bei oft kläglicher Verpflegung pro Tag 20 Lire zahlen mußten (– dabei Heizung u. Beleuchtung extra)! [Ein Meisterstück meiner unpraktischen Lebensführung!!]. In Contrast-Wirkung gefiel uns deßhalb im März das Park-Hôtel in Bordighera so sehr! ||

Mir geht es jetzt endlich besser. Nachdem ich 3 Monate Haus Arrest gehabt, gehe ich seit einigen Tagen wieder etwas an die Luft; habe aber die Vorlesungen für dies Semester (mein 90.stes) in Jena) leider aufgeben müssen. Bis jetzt hat mich Ziegler vertreten. Im Januar u. Februar wird die Wirbellosen L. Schulze lesen, der Mitte Novb aus S. W. Africa sehr befriedigt zurückgekehrt ist. –

Vor 8 Tagen teilte mir mein Schwiegersohn mit, daß zur Feier meines 75.sten Geburtstags (– den ich wohl nicht mehr erleben werde –) mehrere begüterte Schüler und Freunde beschlossen haben, einen Fonds für ein „Haeckel-Museum“ zu gründen; es soll im Garten des Zoolog. Institutes (nahe der Kahla-Str.) errichtent werden. ||

Da das viel zu kleine Zool. Museum überfüllt ist, soll bloß die Unterrichts-Sammlung in diesem bleiben. Die Hälfte der Objecte (meine Korallen, die gute Vogel- und Säuger- Sammlung etc.) soll in das „Haeckel-Museum“ kommen; ferner meine persönlichen Sammlungen und Kunstschätze (biograph. Erinnerungen, Manuscripte, Bibliothek etc.).

Der Curator ist dem Unternehmen sehr freundlich gesinnt und will es bei der Regierung betreiben. Immerhin ist es fraglich, ob auch diese die nötige Summe zum Fonds beisteuern wird. Ich habe die Bedingung gestellt, daß auch ein besonderes Zimmer für die „australische Sammlung von Pr. R. Semon“ eingerichtet wird, ein anderes für Darwinismus (Selections-Beispiele etc.). Unter 120.000 Mk wird sich das Project wohl kaum realisiren lassen. ||

Beifolgend sende ich Ihnen 2 Hefte von Gramzow, Geschichte der Philosophie. In Heft 9 (Beneke) werden Sie interessante Ahnungen Ihrer „Mneme“ finden (für die ich erfolgreich werbe!). Heft 13 hat mich deßhalb sehr erfreut, weil es das erste Mal ist, daß ein „Philosoph vom Fach“ (noch dazu mir unbekannt) meine bezüglichen Bestrebungen unbefangen würdigte. –

– Über Oscar Hertwig lassen Sie mich lieber schweigen! Welcher klägliche Character! Es war ein großer Fehler von mir, daß ich ihm hier (1880) und früher in Berlin zu einer Stellung verhalf, die er nicht verdient! Jetzt wird er bereits von den Vitalisten und Antidarwinisten (neben Driesch!) auf den Schild gehogen. „Schwamm drüber“!

Mit besten Grüßen an Sie und Ihre liebe Frau

Ihr alter Ernst Haeckel.

II.

I. 25.12.05.

P.S. In nächster Woche wird der Aufruf zur Gründung des „Deutschen Monistenbundes“ publicirt, unterzeichnet von ca. 40 Namen guten Klanges (– „Ehren-Präsident E. H.“ – auf Wunsch!),

Secretär Dr. Heinrich Schmidt

(Moltke-Str. 1, Jena).

Unterzeichnet haben hauptsächlich Philosophen, Künstler, Naturforscher.

Die meisten Fach-Kollegen (außer Forel, Plate, C. Keller, Ziegler) haben abgelehnt. Falls Sie gestatten, Ihren Namen unter den Aufruf zu setzen (was mir eine besondere Freude sein würde!) bitte ich umgehend ein paar Zeilen Zusage per Postkarte; Sie stehen in guter Gesellschaft! –

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
25.12.1905
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Bayerische Staatsbibliothek München, Abt. für Handschriften und Seltene Drucke
Signatur
Cgm 8032
ID
39873