Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Ernst Ehlers, Jena, 19. Januar 1894

Jena 19.1.94.

Lieber Ehlers!

Ich habe Nichts dagegen, wenn die Nematoden-Arbeit von List in der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie erscheint, mit dem Vermerk: „Aus dem Zoologischen Institut in Jena.“

List (der jetzt nach Neapel geht) wollte im Herbst die Nematoden-Ontogenie noch weiter verfolgen als es hier geschehen war. ||

Als neuesten Beitrag zur Characteristik unseres „treuen Freundes“ Hamann kann ich Ihnen (durch einen jetzt in Messina arbeitenden Schüler) mittheilen, daß derselbe vor einigen Jahren Kleinenberg aufforderte, mit ihm zusammen eine Zeitschrift herauszugeben, unter dem Titel: Zoologische Zeit und Streitfragen. || Kurz vorher hatte er Kleinenberg als „blasirten Roué“ bezeichnet! Das neueste Pamphlet von Hamann scheint übrigens die „sittliche Weltordnung“ zu fördern, indem es ihn selbst offenbart.

Mit freundl. Gruß

Ihr alter

E. Haeckel

[Beilage: gedrucktes Rundschreiben vom 20. Februar 1894]

Jena, 20. Februar 1894.

Am 16. Februar d. J. war es mir vergönnt, mein 60stes Lebensjahr zu vollenden und damit zugleich die dankbare Erinnerung an meine 33jährige Lehrthätigkeit an hiesiger Universität zu verbinden. Bei dieser Gelegenheit sind mir von Nah und Fern überaus zahlreiche und mannichfaltige Beweise freundschaftlicher Theilnahme gegeben worden. Alte Freunde und unbekannte Gesinnungsgenossen, werthe Collegen und treue Schüler haben gewetteifert, durch Glückwünsche und Gaben mich zu erfreuen. Da es mir nicht möglich ist, ihnen Allen persönlich oder brieflich meinen herzlichen Dank auszusprechen, sei es mir erlaubt, ihn auf diesem Wege zum Ausdruck zu bringen.

Das reiche Maass ehrenvoller Anerkennung, welches hierbei meiner Lebensarbeit zu Theil geworden ist, hat mich tief gerührt und beglückt. Ich darf dieselbe aber nur insoweit annehmen, als sie meinem ehrlichen Ringen nach Erkenntniss der || Wahrheit und meiner vollen Hingabe an die gute Sache gilt. Im Übrigen weiss ich selbst am besten, wie weit das wirkliche Erreichte hinter dem Erstrebten, wie sehr die Ausführung der Arbeit hinter dem Entwurfe und dem Ziele zurückgeblieben ist.

Es ist mir das unschätzbare Glück zu Theil geworden, als Naturforscher an einem der grössten Fortschritte der menschlichen Wissenschaft mitzuwirken. Die drei Decennien meiner hiesigen academischen Thätigkeit gehören jenem denkwürdigen Abschnitt in der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts an, in welchem die siegreiche Entwickelungslehre unsere Erkenntniss vom Wesen und Werden der Dinge unendlich vertieft hat. Aber dieser Sieg der strebenden Vernunft, die Beseitigung altehrwürdiger Vorurtheile, und die monistische Reform unserer Weltanschauung, konnte nur unter harten Kämpfen und schweren Opfern errungen werden. Dass ich in jenen Kämpfen einige Ausdauer bewiesen und diese Opfer willig gebracht habe, rechnen meine gütigen Freunde mir vielleicht zu sehr zum Verdienst an.

Wenn es mir dabei durch eine Verkettung von glücklichen Umständen gelungen ist, einige brauchbare Steine in den grossen Entwickelungs-Bau der || Menschheit einzufügen, so erblicke ich den schönsten Lohn dafür in der wohlwollenden Anerkennung, Achtung und Liebe, von welcher ich in diesen Tagen so zahlreiche Beweise erhalten habe. Mit der erhebenden Erinnerung an diese schönen Festtage wird auch meine aufrichtige Dankbarkeit dafür unzerstörbar verknüpft bleiben.

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.01.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
SUB Göttingen, Handschriften und Nachlässe
Signatur
Cod. Ms. E. Ehlers 661 (8/1 und 8/Anl.)
ID
39676