Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Ernst Ehlers, Jena, 20. Mai 1893

Jena | 20. Mai 1893.

Lieber Ehlers!

Unser edler Freund und College, Herr Otto Hamann, hat sich veranlaßt gesehen, mich wegen meiner Kritik seines Characters im „Monismus“ (S. 43) zu verklagen; er verlangt die Kleinigkeit von 6000 Mk wegen „Erwerbsstörung“, außerdem 1500 Mk Geldstrafe wegen „Beleidigung“ oder entsprechende Gefängnißstrafe. Ich werde in dem Processe (der hier vor dem Schöffengericht im Juni zur Verhandlung kommt) den Beweis der Wahrheit für meine Beschuldigung Hamanns führen und habe außerdem Gegenklage gegen ihn erhoben. || Zu meiner Vertheidigung ist es mir von Wichtigkeit, Aufklärung über folgende Fragen von Ihnen zu erhalten:

1. Hat Hamann Vorlesungen über „Darwinismus und Entwicklungslehre“ in Göttingen gehalten?

2. Sind dieselben ungefähr in demselben Sinne und Geiste gehalten, wie sein berüchtigtes Buch darüber (1892)?

3. Ist Hamann von der philos. Facultät in Göttingen zum Professor vorgeschlagen? Oder hat er den Titel von Berlin erhalten?

– Selbstverständlich werde ich Ihnen sehr dankbar sein für jede weitere Aufklärung, die Sie mir zu meiner Vertheidigung gegen diesen nichtswürdigen Renegaten ertheilen können. ||

Meine beiden Collegen, Prof. Semon (der eben von seiner zweijährigen australischen Reise zurückgekehrt ist) und Prof. Kükenthal werden am Zoologen-Congresse in Göttingen Theil nehmen und Sie in den nächsten Tagen besuchen. Sie können denselben vielleicht noch mündlich weitere Mittheilungen machen. Es ist gut, daß ich nicht Mitglied der Zoologischen Gesellschaft bin; denn sonst müßte ich jetzt jedenfalls austreten, da ich nicht mit einem so elenden Lügner, wie Hamann, in einer und derselben Gesellschaft sein könnte. Vermuthlich wird dieser Lügner mich bei Ihnen ebenso verleumdet und angeschwärzt haben, wie er dies mir gegenüber vor Ihnen (ohne Erfolg natürlich) versucht hat. (Vergl. Die Copie des beifolgenden Briefes vom 16. August 1889. ||

Einen großen Fehler habe ich damit begangen, daß ich Hamann 10 Jahre lang, als einen meiner eifrigsten und ergebensten Schüler (– der mich mit Beweisen persönlicher Verehrung und Dankbarkeit überhäufte), unbedingtes Vertrauen schenkte. Ich habe niemals mit ihm irgend welchen Conflict, und keine Ahnung gehabt, daß er ein so falscher und nichtswürdiger Character sein könne. Daß seine sämmtlichen Commilitonen ihn für einen Lügner und Heuchler hielten, habe ich erst 1890 (nach seinem Mißerfolg mit der Ritter-Professur) erfahren, und besonders im vorigen Jahre, als er sich um die ordentl. Professur der Zoologie in Marburg erwarb. [!] Er soll übrigens sehr vermögend sein! – Hoffentlich geht es Ihnen gut. Ich werde alt und unbrauchbar.

Mit besten Grüßen

Ihr

Ernst Haeckel

[beigefügt: Abschrift des Briefes von Otto Hamann an Ernst Haeckel, 16. August 1889]

Abschrift.

Göttingen 16 August | 1889.

Hochverehrtester Herr Professor!

So eben erfahre ich, daß Arnold Lang an Aspers Stelle nach Zürich einen Ruf hat. Wenn sich dies bewahrheitet, darf ich dann wohl hoffen, daß Sie mich vorschlagen als seinen Nachfolger? Im Stillen hab ich mich so oft nach Jena geträumt an Langs Stelle, wenn ich hier während der langen Jahre mir meine Stellung, meine Zuhörer förmlich erkämpfen mußte. Denn an Ehlers hatte ich vom ersten Tage an keinen Freund. So schwer, wie man es nur Jemandem machen konnte, hat er es mir gemacht. Daß ich meist anderer Meinung war wie er, ist wahr, und daß ich um meine Meinung gefragt, dieselbe stets vertreten und geäußert habe, auch. || Hätte ich nicht stets einen festen Stamm von Zuhörern gehabt, deren Verkehr mich immer von Neuem aufrichtete, ich hätte die erbärmlichen Verhältnisse nicht ertragen!

Darf ich wohl auf ein paar Zeilen von Ihnen hoffen? Denn daß ich in einiger Aufregung bin, glauben Sie mir gewiß!

Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrer Frau Gemahlin!

Ihr ganz ergebener

dankbarer

Otto Hamann.

Herrn Professor

Dr. Ernst Haeckel

in Jena.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
20.05.1893
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
SUB Göttingen, Handschriften und Nachlässe
Signatur
Cod. Ms. E. Ehlers 661 (5/1und 5/Anl.)
ID
39673