Deubler, Konrad

Konrad Deubler an Ernst Haeckel, Goisern, 29. November 1882

Dorf Goisern den 29 Nofbr 1882.

Lieber guter Freund!

Ich bin Ihnen noch meinen Dank schuldig für die Fortsetzung Ihrer höchst Intressanten Indien-Reise und Ihrer Rede in Eisenach, diese hat mir besonders gefallen! Ihr tapferer Protest gegen die versuchte Einreihung Darwins in die Herde der hochkirchlichen Schafsköpfe Englands ist noch rechtzeitig vom Stappel gelaufen. Das wirkte wie ein kaltes Wasser über den Rücken der plötzlich Darwinistisch gewordenen Erzbischöffe, Pastoren und anders Geschmeiße. Dieser Vortrag, und die Ihre Verlesung des irreligiösen Brief [von] Darwin, ist eine wahrhaft muthige Weltgeschichtliche Tath!

Aber für die 2 Bände von Professor Schultze glaube ich gewiß, das Sie nur den Titl gelesen haben –! Seien Sie mir deswegen nicht böße, mir ist Ihre Freundschaft heilig – und möchte sie nicht mit Heuchelei entweihen. Aber diese Spekulativen Philossophischen Schriften neuern Datums erinnern mich immer an den Teufel in Göthes Faust –

Ich sage dir: ein Kerl, der spekulirt,

Ist wie ein Thier auf dürrer Heide ||

Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,

Und rings umher liegt schöne grüne Weide.

Ich habe mit hilfe meines Wörterbuches mit viellem heissen bemühen alle 2 bände durchgelesen. Dieser Schultze weißt den materialistischen Atheismus Seite 67 2. theil volständig zurük, er beruft sich auf alle Philosophen besonders auf Kant, der den lieben Herrgott bei der vorderen Thür herauswirft, und bei der hintern wieder hereinläßt. Von der allgemein verständlichen Philosophie Ludwig Feuerbachs getraut er sich kein Wort zu sagen –!

Dieser Kant schrieb eine Moral nur für Professoren und Theologen –. Auf wie ganz andern Principien wäre er da gerathen, wenn er eine Moral für Holzknechte, Taglöhner, Handwerker und für uns Bauern geschrieben hätte. Wie ganz anders würde da sein Kathegorischer Imperatief lauten. Wer einmahl Ihre Schöpfungsgeschichte, Ihre Einleitung zur Anthropogenie und Ludwig Feuerbach gelessen hat, kann unmöglich diesen Kant u. Konsorten verdauen! Denn gerade der philosophische Materialismus ist es ja, der uns vollständig befriedigt, weil || wir bei unserm Denken und betrachtungen mit der Annahme desselben keinen Widerspruch finden. Es ist meine alte Klage, das der philosophische Materialismus so wenig offene Anerkennung findet. Im Geheimen ja, aber offen; da ist es Lebensgefährlich. Und doch wurde ich nur durch das Schriftstellerische Bekennen desselben zu dieser wahren Welt und Lebensanschauung geführt. Daher „die größte Achtung für denjenigen Lehrer der Menschheit, die, wie Sie und Ludwig Feuerbach ich als die größten Wohlthätter unsers Jahrhunderts verehre und anerkenne!

Mein Alpenhaus und das ganze Salzkamergut ist jezt tief in Schnee eingehült, in diesen langen Winternächsten habe ich genug Zeit, um Ihre Schriften noch einmahl durchstudieren zu können. Schlüßlich nochmahls meinen herzlichen Dank für die geschükten Schriften. Leben Sie wohl edler Menschenfreund, und behalten Sie mir Ihre für mich so kostbare Freundschaft auch noch in der Zukunft. Grüssen Sie mir Ihre liebe Frau.

Ihr dankbarer Freund

K. Deubler ||

NB. Seien Sie ja nicht böße lieber Freund wegen meiner freimüthigen Kritik über die 2 Bücher die Sie mir geschükt haben. Aufrichtig gesagt, ich glaube gewiß das Sie dieses Werk nicht gelesen haben –!

Nochmahls meinen innigsten Dank nebst der Bitte, mir ja bald einmahl wieder zu Schreiben.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
29.11.1882
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3964
ID
3964