Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Adam Rambacher, [Jena], 8. August 1905

Geehrter Herr!

Mit freundlichem Danke sende ich Ihnen beifolgend das zugeschickte Buch von Dr. Boissarie über „Die großen Heilungen von Lourdes“ zurück. Die interessante Lektüre desselben hat mich aufs neue von der kolossalen Macht des Aberglaubens (– als „frommer Glaube“ verherrlicht! –), der naiven Leichtgläubigkeit (– ohne kritische Prüfung! –) und der ansteckenden Massen-Suggestion überzeugt, sowie von der Schlauheit des Klerus, der sie zu seinem Gewinn ausbeutet!

Ungefähr ein Drittel der angeblichen Wunderheilungen beruht auf falscher Deutung von Suggestionen (und Halluzinationen), ein Drittel auf poetischer Erfindung und phantastischer Kombination, ein Drittel auf direkter Täuschung (naiven Irrtum) und schlauen Betrug (so der Fall Rudder).

Die Aerzte, die angeblich für die „Wunder“ und die übernatürlichen Erscheinungen Zeugnis ablegen, sind teils ungebildete und kritiklose Kurpfuscher, teils bewußte Betrüger, die mit den herrschsüchtigen Priestern unter einer Decke spielen.

Die richtigste Darstellung des großartigen Schwindels von Lourdes, die ich kenne, hat Zola in seinem bekannten Roman gegeben.

Die monistische Weltanschauung, zu der ich durch unbefangenes, fünfzigjähriges Studium der wirklichen Natur gelangt bin, ersehen Sie aus beiliegendem Buche über die „Welträthsel“, das ich zu behalten bitte.

Mit wiederholtem Danke für Ihre freundlichen Bemühungen

Hochachtungsvoll

Ihr ergebener

gez. Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.08.1905
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Unbekannt
ID
39543