Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Agnes Haeckel und Familie, Matura, 19. Januar 1882

Matura Ceylon 19 Jan 82

Ihr theuren Lieben!

Diesmal sende ich Euch einen besonderen Gruß von dem südlichsten Punkte Ceylons von Matura. Es ist zugleich der südlichste Punkt, den ich jemals erreicht habe und erreichen werde, und er hat mir 2 sehr genußreiche Tage gewährt. Gestern, am 18. Jan. verließ ich nach fünfwöchentlichem Aufenthalt das reizende Belligemma. Die letzten 10 Tage waren ausschließlich dem Einpacken meiner Sammlung gewidmet, einer schweren Arbeit, die ich in dem Umfang niemals wieder unternehmen werde. Nicht weniger als 36 Kisten habe ich nach Colombo geschickt! Darunter 8 Kisten allein mit herrlichen Korallen, 10 mit Spiritus-Gläsern u.s.w. Ich athmete ordentlich auf, als vorgestern 2 große zweispännige Ochsenkarren erschienen und mich von dieser Last befreiten. Wahrscheinlich nehme ich die Sachen mit auf den Lloyd-Steamer. Hoffentlich kommt Alles glücklich in Jena an. ||

Der gestrige Tag (18. Jan.) der erste freie Tag nach der schweren anstrengenden Arbeit war wunderbar schön! Ich fuhr früh um 8 Uhr in 2 Stunden mit Postomnibus von Belligam nach Matura, immer längs der malerischen Seeküste durch die herrlichsten Cocos-Wälder. Matura ist die drittgrößte Stadt Ceylons, mit 20,000 Einwohnern. Nur einige Beamte sind Europaeer, fast Alles Singhalesen. Die ausgedehnten Straßen recht indisch! Nur die alten Gebäude des Forts das von den Holländern erbaut wurde, erinnern an Europa. Mitten durch die Stadt fließt ein sehr großer Fluß, der größte von Süd-Ceylon, der Nil-Wella-Ganga (Blauer Sand-Fluß). Er ist ungefähr so breit als die Elbe bei Dresden, reich an Crokodilen, und an beiden Ufern dicht mit den schönsten Cocos-Wäldern eingefaßt. Eine einsame Hängebrücke verbindet den östlichen und westlichen Stadtheil. Der Praefect, (und Governments-Agent Mr. Pennycuick) der mich zu sich eingeladen hatte, war in diesen Tagen grade verreist. ||

Bei der Ankunft empfingen mich an seiner Stelle 3 jüngere englische Beamte und luden mich ein, bei ihnen zu wohnen: Mr. Johnson (Regim. Wege-Inspector), Mr. Tait (Assessor) und Mr. Jackson (Polizei-Inspector). Sie sind Junggesellen und wohnen zusammen in einem alten holländischen Fort, Van Eck, jetzt Sternschanze (Star-Fort) genannt. Dieses Fort liegt höchst malerisch nahe an der Brücke; die niedrigen Kasematt-Räume sind ganz von Schlingpflanzen eingefaßt. Jedes Zimmer hat nur einen Fensterladen. Im sternförmigen Hofe sind lebende Affen, ein Pelekan, ein Stachelschwein etc. Die ganze alte Schanze mit ihren zerfallenen Wällen und Gräben ist höchst originell. Ich schlafe vortrefflich in einer Hängematte. Um Mittag nach meiner Ankunft erschien der angesehenste singhalesische Häuptling, der dunkelbraune Mr. Ilangakuhn, der letzte Nachkomme der alten Kandy Königin. Er hatte mich schon in Weligam mehrmals aufgesucht und mit Schlangen, Früchten, Vögeln u. anderen Sachen beschenkt. ||

Jetzt kam er mit seiner Galla-Kutsche angefahren, um mich nach Donderah Cap zu führen. Das ist das äußerste Südcap von Ceylon, wenige Meilen östlich von Matura. Ein sehr großer alter Buddha-Tempel ist dort, mit noch älteren, sehr merkwürdigen Ruinen. Ich wurde von den Buddha-Priestern feierlichst empfangen und überall umhergeführt. Der Oberpriester hatte Ehren-Pforten von Cocos Flechtwerk errichten lassen und war glücklich, als ich seine Wohnung nebst einem großen heiligen Kriegerbaum aquarellirte. Auch einige andere hübsche Aquarelle fielen ab. Auf den Felsen der Südspitze, nahe den alten Tempel-Ruinen entdeckte ich eine a neue hübsche See-Anemone (Actinia). Nachher besuchten wir noch das kleine Fischerdorf Dondera und einen Hügel mit einem sonderbaren Steintempel Die Fahrt durch die Cocos Haine, bald längs der Küste, bald längs des stattlichen Flußes, war sehr schön, das Wetter glänzend (überhaupt habe ich fortdauernd das schönste Sommerwetter, 20-22° R). Diese Excursion nach dem Donner-Cap (Dondera) gehört zu den Glanzpunkten der Ceylon-Reise! ||

II

Heute, 19. Januar, habe ich eine herrliche Excursion in einem großen Segel-Canoe gemacht, dass mir Mr. Ilangakuhn schickte. Mit 6 Indiern bemannte, fuhr das Boot bei starkem N.W. Winde so trefflich, dass es etwa 10 Meilen in der Stunde zurückgelegte, wie ein guter Dampfer! Ich kam weit von der Küste ab, etwa 12-15 Meilen, so daß ich die Gebirge des Innern in blauer Ferne über dem niederen Cocos-Gestade der Küste sah. Ich fischte viele kleine Medusen, Salpen u. andere pelagische Thiere und kehrte nach 4 Stunden reichbeladen zurück.

Dies war die allersüdlichste Excursion, da ich noch beträchtlich nach Süden über Dondera-Cap hinauskam. Bei der Rückfahrt fuhr ich den Fluss hinauf bis zur Sternschanze. b ich traf grade ein großes Crokodil von 18 Fuß Länge, das so eben geschossen worden war. Nachmittag machte ich einen Besuch beim Häuptling und dann eine Fußwanderung in die Cocos-Wälder nach Norden; schöne Schlingpflanzen und Pandanus. ||

Morgen, 20. Januar werde ich Mittags nach Galle fahren, wo ich Abends mit Stipperger bei Scott zusammentreffe. Ich denke dort 5-6 Tage zu bleiben und dann nach Colombo zurückzukehren. Darauf kommt die herrliche Reise ins Hochland.

– Eine große Freude waren mir am 17, am letzten Tage in Belligam, die beiden lieben Briefe aus Jena und Potsdam, vom 20. December. Wie froh bin ich, daß es Euch Lieben Allen gut geht! Nur daß der arme Carl hier so Viel von seinem Ischias zu leiden hat, thut mir recht leid! Kann denn der junge Doctor Heinrich nicht helfen? – Für Carl’s ausführlichen Brief besten Dank! – Sehr ärgerlich ist es mir, daß die schöne Kiste mit Silbersachen etc aus Bombay verloren zu sein scheint. Der deutsche Consul in Bombay (an den ich heute deßhalb schreibe) hat sie am 9. November als Werthpacket abgeschickt; sie müsste also spätestens Anfang December in Jena gewesen sein. Sie enthielt den ersten Reisebrief für die „Deutsche Rundschau“. – Weitere Reisebriefe (III – X) können erst auf dem Steamer kommen. Jetzt ist absolut keine Zeit. Abends bin ich immer todtmüde.

Mit herzlichsten Grüßen

Euer treuer Ernst

a gestr.: S; b gestr.: Nachmittag

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.01.1882
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39119
ID
39119