Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Agnes Haeckel und Kinder; Karl Haeckel und Kinder und Charlotte Haeckel, Aden, 31. Oktober 1881

III.

Aden. Montag 31/Oct 81

Ihr theuren Lieben in Jena und Potsdam!

Schon 16 – 18 Tage früher als Ihr diesen Brief erhaltet, wird Euch der Telegraph von Triest gemeldet haben, daß wir heute mit unserem schönen „Helios“ wohlbehalten aus dem rothen Meere heraus und in Aden angekommen sind, nachdem wir Dienstag Nachmittag die Rhede von Suez verlassen hatten. Nicht umsonst hatten sich alle Passagiere vor der sprichwörtlichen Hitze des rothen Meeres gefürchtet; sie war in der That entsetzlich: eine Woche hindurch 22 – 28° R. (und zwar meistens 24 – 25°) ohne Unterbrechung, Tag und Nacht, ist wahrlich kein Spaß, und um so mehr als den nothwendigen Unbequemlichkeiten jedes Dampfschiffes (auch des besten) alle Leiden der Hitze doppelt empfinden lassen. Die engen Cabinen sind mehr Schwitzkästen und mehr den Armen, welche zu je 2 (oder gar zu je 4, wie auf vielen anderen Schiffen) darin zusammen gepackt sind. Ich pries mich jetzt glücklich meine eigene geräumige Cabine für mich zu haben. ||

Leider wurde für mich diese Leidens-Woche, die Durchfahrt durch das rothe Meer, noch bedeutend unangenehmer durch einen kleinen Unfall, der mir vor 8 Tagen zustieß der aber glücklicherweise gut abgelaufen ist. Am Sonntag 23/10 Abends, als wir die Nacht im Canal von Suez (in den „Bitter-Seen“) zubrachten, wurden auf dem „Helios“ sehr schöne und interessante Versuche mit elektrischem Licht angestellt. Der erste Ingenieur des Schiffes, ein sehr freundlicher und intelligenter Mann, lud mich ein, den electrischen Rotations-Apparat, der durch die Dampfmaschine des Schiffs in Bewegung gesetzt wird, näher zu betrachten und erklärte mir denselben (unten im Maschinen-Raum). Während ich mich bückte um in dem engen Raume den Apparat besser zu sehen, glitt mein rechter Fuß aus. Dabei kam das linke Bein, dass (glücklicherweise) frei in der Luft schwebte, einen Augenblick mit dem elektrischen Motor (welcher 1200 Umdrehungen in der Minute macht!) in Berührung. ||

Ich erhielt dadurch einen solchen Schlag daß ich sogleich zusammenstürzte; glücklicherweise vornüber; wäre ich hinten über gestürzt, so hätte mich die Maschine sofort in Stücke geschlagen. Zuerst glaubte ich das Bein sei gebrochen. Da ich aber gleich wieder stehen und gehen konnte, humpelte ich in meine Cabine mit Hülfe des guten Doctors, der mich mit rührender Aufmerksamkeit gepflegt hatte. Es ergab sich eine starke Contusion (wie von einem Streifschuß) unterhalb des linken Kniegelenks. Ein Stück Haut von der Größe eines Thalerstückes war abgerissen (oberhalb der großen Narbe, wo vor 40 Jahren der Postwagen das Bein überfahren hatte!) Sogleich bildete sich eine Blutgeschwulst von der Größe eines Apfels, die jedoch nachdem ich 40 Stunden ununterbrochen Eis aufgelegt hatte, wieder verschwand. Gegenwärtig ist jede Gefahr beseitigt. Seit 3 Tagen hinke ich schon wieder auf dem Vordeck herum. Bis Bombay ist Alles gut. ||

Nur die ersten 2 Tage mußte ich in der Cabine bleiben; am dritten wurde ich auf Deck geschafft, wo ich auch (wie die meisten anderen Passagiere) die letzten Nächte geschlafen habe. Die Theilnahme der ganzen Gesellschaft an meinem Unfall war übrigens rührend und besonders überboten sich der Capitain und der Doctor, so wie die übrigen Schiffs-Officiere, an Aufmerksamkeiten. Obgleich ich natürlich lieber unter der herzlichen Pflege meiner lieben Frau mich befunden hätte, so hat es mir doch an Nichts gefehlt; selbst die 4 Kellner (und vor Allen der braver Oberkellner, Giorgio) widmeten mir die sorgsamste Pflege.

Im Übrigen befinde ich mich sonst sehr wohl, abgesehen von dem ununterbrochenen Schwitzbade. Eine liebenswürdigere Reise-Gesellschaft habe ich noch auf keinem Dampfer gehabt; es befindet sich darunter ein junger Frankfurter Kaufmann (Tintner), der sich als mein Verehrer entpuppt hat und wahrscheinlich den Leuten Wunderdinge von mir erzählt.

[Briefschluss fehlt]

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
31.10.1881
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 39105
ID
39105