Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, München, 27. August 1868
München 27 Aug. 68.
Liebste Eltern!
Eure Briefe hier habe ich richtig erhalten. Habt besten Dank dafür. Das beifolgende Tagebuchblatt wird Euch über meine hiesigen Erlebnisse berichten. Die vier Tage in München waren sehr interessant und werthvoll. Ich habe sie fast ausschließlich im Verkehr mit Fachcollegen und mit Besichtigung der herrlichen paläontologischen Sammlungen zugebracht. Von den Kunstschätzen habe ich diesmal nur wenig gesehen. Meine Aufnahme bei den Münchener Naturforschern (von denen ich bisher nur Prof. Siebold, den Zoologen, kannte), war überaus freundlich. Fast Alle sind eifrige Darwinisten, und haben vor der „Gen. Morphologie“ eine solchen Respect, daß es mir fast komisch vorkam. Außer mit Siebold, habe ich mit Prof. Liebig, Nägeli, Zittel, Waagen, Wagner und Gemminger verkehrte. ||
Morgen früh (28.) fahren wir von hier nach Brannenburg (hinter Rosenheim) wo wir einen Tag bleiben, dann nach Innsbruck. Von a dort denken wir am Dienstag (1 Sept.) oder Mittwoch über den Brenner mit der neuen Bahn nach Botzen zu fahren, wo wir mehrere Tage bleiben werden. Wenn ihr mir nach Bozen schreibt, so adressiert:
„Bozen in Tyrol (im schwarzen Adler)“. Ich werde aber auch auf der Post in Bozen nach post. rest. Briefen fragen.
Von Bozen werden wir etwa am 4. oder 5. Sept. nach Riva am Gardasee gehen, wo ich auch nach post. rest. fragen werde. Dort werden wir wohl 4–6 Tage bleiben. Schreibt meinen Namen auf der Brief-Adresse nur immer deutlich lateinisch: Haeckel, besonders das H deutlich! –
In den ersten 3–4 Tagen der Reise war ich noch recht kaput, fange jetzt aber schon an, mich tüchtig zu erholen. Hoffentlich geht es euch gut.
Herzlichste Grüße, Euer Ernst.
Ich denke am 20. Sept. in Jena zurück zu sein. Nach Berlin komme ich erst zu Weihnachten. Ein Hochzeitgeschenk für Heinrich werde ich erst nach meiner Rückkehr schicken.b
a gestr.: hier; b Nachschrift auf dem linken Rand von S. 2 und S. 1: Ich denke … Rückkehr schicken.