Ernst Haeckel an Agnes Haeckel, Korfu, 28. März 1877
Corfu 28/3 77
Liebstes Herzens-Weibchen!
Nachdem ich fast 3 Wochen nicht einen einzigen Brief erhalten und wirklich sehr besorgt um Dich war, ist gestern plötzlich ein ganzes Paket Briefe und Zeitungen für mich angekommen, darunter 3 sehr liebe Briefe von Dir! Ich hatte große Sorge um Euch und athme nun frei auf! Der Postbeamte hatte die Adresse verwechselt und dann hatte unser Lese-Diener im Hôtel (‒ der Wirth kann nicht lesen und schreiben!) immer geglaubt, ich hieße: Ernesto! und Haeckel sei bloß ein Titel!! Nu es ist gut, daß ich jetzt wenigstens außer Sorge bin!
An Max Henkel in Breslau habe ich sogleich geantwortet. An Professor Reuschle in Stuttgart und an Dr. Overzier in Coeln (Brenesisstr.) antworte sogleich mit ein paar Zeilen, daß ich seit || 5 Wochen verreist bin und erst Anfang Mai zurückkehre. Ich komme übrigens in der letzten Aprilwoche zurück ‒ vorausgesetzt, daß ich nicht mit meiner schönen Tisch Nachbarin der Prinzessin Helene von Casalanza ‒ die reich, anmuthig, sehr gescheut und mir sehr gewogen ist, ‒ durchbrenne und nach Amerika gehe!! Das ist eine gefährliche Bekanntschaft!!!
Einstweilen bist Du, liebstes Herzchen, mir aber doch noch lieber, und ich freue mich schon sehr auf die Rückkehr!
‒ Den Unterricht bei Leonhard laß nur Walter einstweilen noch fortnehmen. Im Sommer wird er wohl nicht mehr nöthig sein. Beifolgendes Tagebuchblatt sende an meine Mutter.a
Es grüßt und küßt Dich und die lieben Kinder, von Herzen
Dein treuer Ernst
An Seebeck und an Walter schreibe ich dieser Tage besonders.b
a korr. aus: Beifolgende Briefe schließe in ein Couvert mit Seebecks Adresse und bringe ihn (am besten) selbst hin.; b Text weiter am Rand von S. 2: An … besonders.