Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 10. November 1886
Jena 10 Nov 86
Liebste Mutter!
Die ersten drei Wochen des Winter-Semesters a (welche ich immer besonders fürchte) sind glücklich vorüber, und auch bin in die stille Winter-Arbeit eingelebt. Meine Vorlesungen sind recht gut besucht. Da ich diesmal nur ein specielles Colleg lese (Wirbelthier-Naturgeschichte) hatte ich nur etwa auf 20 Zuhörer gerechnet, habe aber 40, und der Besuch ist bis jetzt sehr regelmäßig. || Im Übrigen bin ich sehr durch den Abschluß der großen Challenger-Arbeit in Anspruch genommen; bei dem colossalen Umfang derselben kosten die Schluß-Beilagen (Tabellen, Register etc) sehr viel Zeit, und recht langweilige Mühen! Unter anderem habe ich die letzten 14 Tage damit zugebracht, über 5,000 Namen und über 10,000 Zahlen abzuschreiben, genau zu revidiren und zu ordnen. Es wird wohl Weihnachten werden, ehe der letzte Correctur Bogen abgeht! ||
Im Hause geht es jetzt wieder gut. Indessen mehrere Wochen war Agnes recht unwohl; sie bekam einen Magen Catarrh, mit recht unangenehmen Nerven-Zufällen (Ohnmachten etc) und war in Folge dessen sehr verstimmt. Seit sie wieder ordentlich an die Luft geht, ist auch die Stimmung wieder besser.
Im Übrigen leben wir sehr still. Leider gehen die älteren befreundeten Familien eine nach der anderen fort, und mit dem jungen, (meist nur ein paar Jahr hier bleibenden) Volk lohnt es sich nicht, anzufangen! ||
Unser November-Wetter ist jetzt recht trübe und neblig, nachdem der October sehr schön war. Ich freue mich auf Ostern wo ich auf einige Wochen an das lang entbehrte (seit fünf Jahren nicht gesehene) Mittelmeer (Triest) gehe. Während dieser Zeit wünscht Agnes Besuch von Marie, der ihr jetzt aus verschiedenen Gründen unthunlich schien. Die neue Köchin macht sich jetzt ziemlich gut, hoffentlich Deine auch! – Die Kinder sind munter und recht fleißig.
Alle grüßen herzlich
Dein treuer Ernst
a gestr.: si