Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 15. November 1874

Jena 15a Nov 74

Liebste Mutter!

Seit 14 Tagen befinde ich mich nun wieder in voller Semesterthätigkeit und damit auch in der alten frohen und zufriedenen Stimmung. Auch bin ich wieder ganz wohl und frisch, und habe die Herbst-Erkältung, die hier die halbe Stadt und speciell unser ganzes Haus gequält hat, ganz abgeschüttelt. Meine Vorlesungen sind so stark besucht wie noch nie, und die Leute sind darin sehr eifrig, so daß sie mir viele Freude machen. ||

Die trüben Gedanken wegen der Nichtannahme der Bonner Stellung, die mich vor einigen Wochen sehr quälten, habe ich auch ganz abgeschüttelt, zumal ich jetzt wieder Mehreres aus Bonn erfahren habe, was mir die gedachte Stellung keineswegs in sehr günstigem Licht zeigt.

Mein kleiner Goldjunge, Richard Hertwig, ist wieder hier und wird sich hier habilitiren. Somit habe ich auch wieder einen jugendlichen Freund, mit dem ich mich wissenschaftlich und allgemein menschlich unterhalten kann ||

Zum Arbeiten bin ich noch gar nicht gekommen. Erstens habe ich zu Hause und im Institut einmal gründlich aufgeräumt. Zweitens aber habe ich täglich mindestens ein halb Dutzend Briefe zu schrieben. Ein solcher Briefsegen und geschenkter Bücher-Segen, wie jetzt, hat mich noch nie überschüttet und ich wünschte sehr, daß er bald abnähme. In den letzten 4 Wochen habe ich gewiß für mehr als fünfzig Thaler Bücher geschenkt bekommen. Mein neues Buch scheint sehr günstig aufgenommen zu werden, nur nicht bei den Ultramontanen!! || Es sind beriets drei Übersetzungen im Gange (Englisch, Französisch und Ungarisch). –

Agnes wird Dir nächstens schreiben. Sie und die Kinder sind munter. Hoffentlich höre ich auch von Dir und unseren Lieben dasselbe!

Dein treuer Ernst.

a korr. aus: 16

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.11.1874
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38781
ID
38781