Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 19. Januar 1874

Jena 19 Jan 74a

Liebe Mutter!

Seit einigen Tagen beschäftigt uns beständig der jähe plötzliche Tod von Max Schultze, der am letzten Freitag, 16. Jan., Morgens 9 Uhr in Bonn ganz unerwartet an Herzlähmung gestorben ist, 48 Jahre alt. Du kannst denken, wie die alten Eltern hier außer sich sind. Donnerstag Abend waren sie noch bei uns in einer kleinen Gesellschaft und erzählten uns wie glücklich Max in seiner neu eingerichteten Wohnung sei. Am folgenden Morgen war er todt.

Die Details sind in hohem Grade tragisch. Erst vor einem halben Jahre hatte Max das neue, prachtvoll eingerichtete Anatomie-Gebäude bezogen und eingeweiht. || Erst vor 8 Tagen, am Sonnabend 10 Jan. hatte er sein prachtvoll eingerichtetes und neu gebautes Haus bezogen, und mit einem glänzenden Feste eingeweiht. Kaum eine Woche hat er darin gewohnt. Am Mittwoch gab er zur Einweihung seines neuen großen Bechsteinschen Flügels, über den er sehr glücklich war, eine zweite musikalische Abendgesellschaft. In der Nacht schon wurde er unwohl und blieb den folgenden Tag (Donnertag) zu Bett, ohne besondere Beschwerden. Nur fühlte er sich sehr matt. Am Freitag morgen 7 Uhr erst fühlte er sich plötzlich ganz || verändert, äußerst schwach, und 2 Stunden darauf war er todt. Er starb schmerzlos und ohne Bewußtsein, ohne Ahnung des Endes. Die Trauer ist in Bonn und hier allgemein. Die arme junge Frau mit den 5 Kindern, die so mitten im höchsten Glück Alles verloren hat. Auch die armen alten Eltern sind sehr zu bedauern. Max war ihr ältester und ihr Lieblings Sohn. Sein Bruder Bernhard ist gleich von hier hingereist.

Ich rufe mir lebhaft die Jahre 1854, 1858–60 zurück, wo ich ihn so oft sah und so freundschaftlich mit ihm verkehrte. Auch auf Reisen traf ich ihn oft ganz zufällig. ||

Als Todesursache hat sich bei der Section ein durchbohrendes Darmgeschwür ergeben, welches schnell Herzlähmung herbeiführte. Er litt seit zehn Jahren an Magencatarrh und Darmcatarrh. Abgesehen davon, hätte er wohl noch 20 Jahre leben und Viel nützen können. –

Der Brief von Carl mit den 100 rℓ habe ich gestern erhalten. Besten Dank dafür! Ich habe nun genug vorläufig

Mit herzlichsten Grüßen

Dein treuer Ernst.

a korr. aus: 73

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.01.1874
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38777
ID
38777