Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Merseburg, 15. Januar 1852

Merseburg

Donnerstag 15/1 52

Liebe Mutter!

Schon ehe mich Sonntag früh Dein Brief überraschte, hatte ich mich auf meinen Irrthum oder vielmehr Faselei besonnen. Richters a hatte ich ganz vergessen (weil ich die Papiere gleich beim raschen Auspacken von Allem abmachte) und sein Paket an die Karo gegeben, während ich den Gingant für die Karo als Christels Schürze angesehen hatte. b Nun ist aber Alles wieder in Richtigkeit, und Christel hatte den Gingan schon zurückbringen wollenc, weil sie gleich dachte, daß ich Confusion gemacht hätte. Schon Sonnabend Nachmittag, als ich trotz aufmerksam seind sollender Arbeit viel an euch dachte, fiel mir plötzlich ein, daß es nun grade 8 Tage her war, daß ich den Sonnabend bei euch war, und Frl. Richter das Paket brachte. Ich lief nun gleich zu Christel und brachte den Gingant e zu Karos, das Paket aber zu Wiecks, wo es Richter am Mittwoch abgeholt hatf. Papa wird wohl wieder recht über den unpraktischen Menschen gescholten haben; nach Ostern mag er es nur thun und mich noch g tüchtig ermahnen, practisch und menschlich zu werden; jetzt aber h bin ich wirklich halb unzurechnungsfähig, weil ich überaus zerstreut und wüsti im Kopf bin. Übrigens bin ich schon so ziemlich wieder in die alte Lebensordnung hinein; um 7 wird aufgestanden, um 11 zu Bett gegangen. Karl sage, daß ich heute auch noch die letzten Ministerialblätter (51-52) und Gesetzsammlungen (41-43) von der Post geholt habe. Wir Abiturienten müssen jetzt unser curriculum vitae, und das Anhalteschreiben zum Examen schreiben. || Ferner haben wir einen freien deutschen Aufsatz über 1 beliebiges freies Thema zu machen, wozu ich das Stück der mit Karl zu Pfingsten 1851 gemachten Reise vom Schwarzathal bis Kloster Banz gewählt habe. Erst will ich diej Reise selbst schildern und daran eine Vergleichung der norddeutschen Gebirgsbewohner und der mehr südlichen Bayern anschließen. –

Vorgestern habe ich auch Nachricht erhalten von den auf der Linkschen Auction bestellten Büchern. Ich habe weiter nichts erhalten, als die gute „Flora berolinensis von Kunth“ die ich zu Ostern fleißig benutzen will. Neu kostet sie 3 rℓ 22½ Sgr; ich habe sie für 1½ rℓ bekommen. Vorn hat Link in beide Bände seinen Namen eingeschrieben; nun sage nur Karl, daß er immerhin einen guten Plan der Umgegend von Berlin (etwa 3 Meilen) ankaufen kann, damit ich dann Ostern die Flora von Berlin ordentlich brauchen kann. Doch kann er auch warten, bis ich selbst komme und einen mit aussuche.

An Frau Naumann habe ich 1 rℓ gegeben, und ebenso an Christel. Gestern Abend haben wirk mit Osterwald angefangen Terentii Andria mit vertheilten Rollen zu lesen. Neulich haben wir auch an einem Abend mit ihm Fouqué‘s Undine gelesen (dein Unding, liebe Mutter!) – Friedrich lässt sich noch besonders schön für die blaue Weste von Vater, die ihm von jeher so gefallen, und nach der er so gestrebt hätte, bedanken. –

Mit den schönsten Grüßen an Alle bleibe ich euer treuer Junge E H.

N. B. Die 5 Blätter für Karl folgen durch Eichhoff mit.

a Einfügung gestr.: Pak; b gestr.: Al; c eingef.: wollen; d eingef.: sein; e gestr.: nach; f eingef.: wo es Richter am Mittwoch abgeholt hat; g gestr.: the; h gestr.: ich; i korr. aus: Wüst; j korr. aus: dies; k eingef.: wir

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
15.01.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38748
ID
38748