Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 8. Januar 1852

Merseburg Donnerstag Abends 8/1 1852.

Liebste Ältern!

Ich muß euch doch wohl gegen mein Versprechen noch diese Woche schreiben und benachrichtigen, daß ich die Reise sehr wohl und glücklich vollbracht habe. Es war eine ganz wunderschöne, taghelle Nacht und obgleich es ziemlich kalt war, habe ich auf der ganzen Fahrt, besonders an die Füße, gar nicht gefroren. Bis Luckenwalde fuhr ich mit 2 Herren allein, und jeder schlief schön in seinem Viertel; dort aber stiegen 2 Fleischer mit ihren Jungens ein, und da es enge, unbequeme Wagen waren saßen wir wie die Häringe zusammengepreßt was grade nicht angenehm war, aber wenigstens das Coupé erwärmte. In Merseburg kam ich um 5 Uhr an, und zwar grade zur rechten Zeit, um noch die große, totale Mondfinsterniß, mit Weiß ihrem ganzen Verlauf nach (bis um 8 Uhr) beobachten zu können. Bei dem klaren Wetter und strahlenden Vollmond sahen wir sie außerordentlich gut; als aucha der letzte Schimmer der Sichel verschwunden war, sahen wir den Mond als dunkelrothbraune Scheibe. Um 8 ging die alte Schule, hoffentlich zum letzten Mal an, und hat mir bis jetzt sehr schlecht geschmeckt. Ich befinde mich in einer ganz scheußlichen, zerstreuten Stimmung, die ich vergebens loszuwerden suche; zu gar nichts habe ich Lust, nicht die mindeste, nicht einmal zur Botanik. Nur nach der Schifferstrasse sehne und denke ich mich hin; und die beiden Tage kamen mir 50 mal länger vor, als die 18 Tage bei euch. ||

Die Geschenke habe ich noch gestern ausgetheilt; alles war sehr glücklich, und läßt tausendmal danken. Nun habe ich aber noch etwas entdeckt, worüber Du mir baldigst schreiben mußt. Als nämlich die Karo in meiner Gegenwart das Paket für Helene aufmachte, fand sich 1) Ein Stück blau und braun karirtes dunkles, wollnesb Zeug, von dem die Karo meinte, daß es zu dem „Gingan-Kleidchen“ viel zu groß wäre; und dann ein kleineres Paket, worinn 2) 1 Paar lederne Kinderstrumpfbänder, 3) ein paar schwarzwollne Strümpfe, gezeichnet J R, c 4) 4 Antimacassars und 5) 1 Paar gestrickte Pulswärmer. Wem sind die Sachen und was soll damit geschehen?

Im nächsten d Brief bitte ich dich, liebe Mutter, mir dessen Bestimmung zu schreiben e. Den nächsten Brief von mir wirst du wohl Sonnabend über 8 Tage durch Eichhoff erhalten. Heute sagte Osterwald, er hätte darauf angetragen, daß wir unsre Arbeiten recht bald schrieben.

Abends 10 Uhr

Heute Abends war ich bei Kathens, wo auch Brauchitsch und Karos waren, und wo ich sehr viel von euch erzählen mußte. Sie lassen Alle herzlichst grüssen. Daß Braune als Generalsuperintendent nach Altenburg kommt, ist wahr; Karos ziehen auch aus, und zwar in das Haus, wo Huguenell wohnte. Simon sprachf ich auch. Er g wäre sehr gern und ganz bestimmt zu euch gekommen, wenn nicht sein Vater von Magdeburg gekommen wäre, nun wird er zu Ostern kommen. || Bei Karo sah ich auch ein Buch: „Walddrossel“ von Heinrich Pröhle, einem Schulkameraden Karls wodrin die ganzen Geschichten vom alten Domherrn v. Brandenstein und von unsrer ollen Schule, sowie auch von dem Betrug mit den Abiturienten Themas durch Manari offenbart ist; auch der alte Wieck wird sehr richtig charakterisirt. Die Wieck, bei der ich heute war, läßt Dich, liebe Mutter, fragen, wie Dir der ächte chinesische Karawanen-Kaiser-Thee geschmeckt hat, den h sie Dir geschickt hat. −

Mit Louisen, Christels Schwester, ist es noch gar nicht besser, Basedow behandelt sie nicht ordentlich; jetzt kommt nur noch Dürbeck. –

Die kleine Marie hat sich über die Puppe außerordentlich gefreut.

Nun, liebe Ältern, muß ich aber schliessen, weil ich gar zu müde bin. Tausend Grüsse an Alle, an mein lieben Brummbär und an Tante Bertha. Schreibt recht bald wieder eurem alten armen Jungen Ernst Häckel.

P. Sc. Der Öconom Wirth hat die 26 rℓ an Osterwald schon während der Ferien bezahlt.

a gestr.: schon; eingef.: auch; b eingef.: dunkles, wollnes; c gestr.: und; d gestr.: in dem; eingef.: Brief bitte; e gestr.: bitte; f korr. aus: spracht; g gestr.: k; h gestr.: D

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
08.01.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38747
ID
38747