Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 3. März 1868
Jena 3 März 68
Liebste Mutter!
Die letzten beiden Wochen, seit ich Dir zuletzt schrieb, waren für uns etwas trübe. Agnes hat von ihrem Zustand sehr viel zu leiden, und da ihre Nerven so sehr reizbar und empfindlich sind, so nimmt sie ihre Leiden sehr schwer. Gefährlich ist es jedoch gar nicht. a Vor 8 Tagen bekam sie, entweder in Folge sehr heftigen Erbrechens, oder in Folge einer Erkältung, Unterleibs-Schmerzen, so daß ich meinen Freund, Prof. Schultze, der ein tüchtiger Frauen Arzt ist und uns gegenüber (unter Gegenbaur) wohnt, zu Rathe zog. Er hat mich sehr beruhigt, und erklärt, daß das heftige Erbrechen und die Schmerzen nur Folge von Agnes übermäßiger Reizbarkeit und Empfindlichkeit seien. Jedoch solle sie so lange im Bett bleiben, bis die Unterleibs-Schmerzen || vorüber seien. Das Bettliegen ist ihr wirklich gut bekommen; auch hat das tägliche Erbrechen sehr nachgelassen. Da sie aber nun schon 4 Wochen in der Stube steckt, ist sie natürlich sehr schwach und matt. Hoffentlich wird Alles gut vorübergehen. Offenbar ist sehr störend, daß ihr Magen überhaupt so schwach ist. Apfelsinen darf sie gar nicht essen, nur Fleisch und Bouillon. Seefisch äße sie wohl einmal gern. Aber es wird jetzt schon zu warm sein b sein, um zu schicken.
Ich selbst bin wenig zum Arbeiten gekommen, da ich sehr Viel bei ihr bin. In 14 Tagen fangen die Oster-Ferien an; dann hoffe ich wieder mehr zu arbeiten. Übrigens bin ich wohl.
Außer Gegenbaur, c der mir auch jetzt wieder d ganz unersetzlich ist, sehe ich fast Niemanden. Nur Mutter Emma sehe ich oft, da sie glücklicher || Weise ziemlich wohl ist und fast täglich her kommt. Das ist sehr viel werth.
– Heute wurde ich durch eine sehr traurige Nachricht aus Würzburg erschreckt. Der gute Bezold ist gestern nach mehrwöchentlicher Krankheit gestorben. Das ist wieder einer von meinen ältesten, nächsten und treuesten Universitäts-Freunden, die nun fast Alle schon todt sind! Beckmann, Lachmann, Meyer, Weber, und nun auch Bezold! Wie schade um diesen braven und ausgezeichneten Naturforscher. Er war 1 Jahr jünger, als ich, und seit 1853 waren wir immer zusammen, schon 15 Jahre! Und die arme Frau. Engelmanns haben viel Sorge. Auch ihr Sohn (mein Schüler) welcher erst kürzlich in e Utrecht sich verlobt hatte (ein sehr tüchtiger Naturforscher) war am Nervenfieber sehr krank, ist dagegen auf der Besserung. ||
Dagegen habe ich aus Bonn gestern eine sehr erfreuliche Nachricht gehabt. Max Schultze hat sich wieder verlobt, mit einer Fräul. Sievers, welche auch Bleeks kennen.
– Hoffentlich geht es bei Euch und in Landsberg gut, liebe Mutter. Schreibe mir bald. Agnes und Mutter Emma grüßen herzlich.
Euer treuer Ernst.
a gestr.: Ich; b irrtüml. wiederholt: zu; c gestr.: se; d gestr.: sehr; e gestr.: Le