VILLA HAECKEL.
Jena, den 30. Juni 1888
Liebstes Mütterchen!
Gerne wäre ich morgen selbst bei Dir in Potsdam erschienen, um Dir meine und meiner Familie herzlichsten Glückwünsche zu Deinem 89sten Geburtstage persönlich zu überbringen! Leider kann ich aber der Vorlesungen und Arbeiten halber jetzt mitten im Semester nicht fort, und so muß ich Dir schriftlich Alles Gute und Liebe für das neue hohe Lebensjahr wünschen! || Agnes und Lisbeth haben mir viel von Dir und von ihrem Besuche bei Dir erzählt. Ich bin froh, daß es Dir wieder etwas besser geht, und daß Du ordentliche Pflege genießt. Hoffentlich haben die Schmerzen inzwischen aufgehört, oder doch wenigstens nachgelassen! Ich hätte Dir gerne zum 1. Juli ein Bouquet von Waldblumen aus unserem lieben Forste geschickt, und hatte mir vorgenommen, mit Lisbeth in den vorigen Tagen solche zu holen. Aber seit 4 Tagen regnet es fast beständig, so daß wir leider unsre Absicht nicht ausführen konnten. || Um Dir wenigstens ein Liebeszeichen zum Geburtstage zu geben, sende ich Dir beifolgend die beiden letzten, so eben erschienen Theile meiner Radiolarien (III. und IV.), womit nun diese umfangreichste Arbeit meines Lebens für immer abgeschlossen ist! –
Heute habe ich auch das letzte Packet Manuscripte (Siphonophoren) und die letzten Tafeln (von 222!) nach Edinburgh abgeschickt! Damit sind auch die großen Challenger-Arbeiten (12 Jahre!) definitiv beendigt! || Den Juli werde ich mit Einpacken der Sammlungen zubringen, die nach Edinburgh zurückgehen. Anfang August denke ich dann mit der ganzen Familie auf einen Monat in die Bayrischen oder Tyroler Alpen, und nach München zur Ausstellung zu gehen. –
Mir geht es ebenso wie den meinigen gut. Eine Woche war ich tüchtig erkältet, in Folge der Taufe des kleinen Günther Hertwig, wo ich bei 24°R. im schwarzen Frack Pathe stehen und eine Rede halten mußte! Heute ist aber Alles abgeschüttelt!
– Nochmals herzlichste Grüße und beste Wünsche, liebstes Mutterchen,
von Deinem treuen alten Ernst.