Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Jena, 14. August 1870

Jena 14 Aug 70

Liebste Mutter!

Mit großer Spannung warten wir auch hier auf die großen und entscheidenden Ereignisse der heute anbrechenden Woche, welche hoffentlich unseren deutschen Waffen den vollständigen Sieg schenken, das einige Deutschland fest begründen und das übermüthige Frankreich für immer niederwerfen wird. Die Freude über die drei ersten großen Siege am 4. und 6. und über die wichtigen Erfolge derselben ist auch Hier in unserem stillen Jena sehr groß und der Enthusiasmus für die große nationale Sache hat auch hier alle Herzen einmüthig ergriffen. ||

Ich habe rechtes Verlangen, Euch Lieben zu sehen und mich einmal ordentlich auszusprechen. Ich denke in 2 oder 3 Wochen einmal auf einige Tage nach Berlin zu kommen, jedenfalls im Verlaufe der Ferien. Wenn die siegreichen Truppen in Berlin einziehen, werde ich jedenfalls dort sein. Was ich sonst noch in den Ferien anfangen werde, hängt ganz von den Umständen ab. Die Reise an das Mittelmeer, um meine Schwamm- Studien zu vollenden, habe ich natürlich aufgegeben und denke sie in den nächsten Oster- Ferien nachzuholen. ||

Wenn noch einige ruhige Ferien- Wochen übrig bleiben, gehe ich vielleicht noch etwas auf den Kriegsschauplatz und sehe mir das wieder deutsch gewordene Elsaß und Lothringen an. Vorläufig bleibe ich aber ruhig hier und benutze die Ferienstille, um einen großen Theil der mechanischen Arbeit, die mir mein Schwamm- Buch macht, zu absolviren. Es ist hier ausnehmend still und leer. Die Studenten sind größtentheils fort und von dem ununterbrochenen Kriegslärm, der nur 2 Stunden entfernt in Apolda auf der Thüringer [Eisenbahn] mit den Durchzügen der Truppen, Gefangenen etc. bisher geherrscht hat, haben wir Nichts zu hören bekommen. ||

− Recht Leid tut es mir, liebe Mutter, daß Ihr ohne Diener seid. Soll ich Dir vielleicht von hier einen verschaffen. Es haben sich erst kürzlich hier mehrere Diener bei mir für die Famulus- Stelle gemeldet, unter denen einige recht ordentlich zu sein scheinen. Schreibe mir bald darüber, und wie viel Lohn a Du geben wünschst. Ich glaube, ich werde Dir einen ordentlichen verschaffen können. Soll ich ihn dann aber gleich für ¼ oder ½ Jahr miethen?

‒ Grüße Vater und die Potsdamer herzlichst! Agnes und Walter sind wohl und munter, ich ebenfalls.

Mit den herzlichsten Grüßen

Dein treuer Ernst.

a gestr.: z;

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.08.1870
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38605
ID
38605