Jena 1. August 1870
Liebste Mutter!
Damit Du doch wieder was von uns hörst, will ich Dir wenigstens ein paar Zeilen und einen herzlichen Gruß schicken. Der Krieg verschlingt alle andern Gedanken. Es ist wirklich erhebend, endlich einmal das ganze deutsche Volk einig zu sehen. Möge der glückliche Erfolg dieser guten Stimmung und der Gerechtigkeit der Sache entsprechen.
Auch Hier wie überall, giebt es nur eine Stimme und Alles wünscht einmüthig den Franzosen und ihrem Räuber- Kaiser die verdiente Züchtigung. ||
Von hier sind 2/3 der Studenten fort in den Krieg, und der übrig gebliebene Theil 1/3 hat keine Lust mehr zu den Vorlesungen, so daß jetzt alle geschlossen worden sind. Ich habe am Sonnabend meine letzte gehalten. Die ganze vorige Woche habe ich nur 4-6 Zuhörer gehabt und das war schon Viel!
‒ Walter ist sehr munter. Agnes hatte sich erkältet, und hat 8 Tage wegen Diarrhoe etc. zu Bett gelegen, ist aber jetzt wieder munter. Mutter Emma kam vor 8 Tagen zurück, krank vor lauter Aufregung über ihre Reise und die Kriegserlebnisse. || Sie hat auch die letzten 8 Tage zu Bett gelegen. Morgen werden wir wieder in unser Quartier ziehen. Da Agnes nicht gut fort konnte, sind wir bis heute bei der Mutter geblieben. –
Ich hatte beabsichtigt, mit vier unserer ersten Koryphäen (Kuno Fischer, Hase, Adolf Schmidt, Hildebrand) einen Cyclus von Vorlesungen zum Besten der Verwundeten zu halten und sie drucken zu lassen. Es hat sich aber zerschlagen.
– Hoffentlich hören wir recht bald glänzende Siegesnachrichten. Grüße den lieben Vater und die Potsdamer herzlichst. Hoffentlich seid Ihr alle munter.
Ich arbeite jetzt wieder in Schwämmen.
Wie immer Dein treuer Ernst