Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Jena, 10. Februar 1866

Jena 10 Febr

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Liebe Eltern!

Für eure lieben letzten Briefe herzlichen Dank. Es freut mich sehr, daß es euch wohl geht, und daß es auch Tante Bertha besser geht.

Von mir ist Nichts Neues zu melden. Ich bin ganz in der Arbeit meines Buches vergraben, welches mir sehr viel Freude macht, und von dem ich mir eine große Wirkung in der Wissenschaft verspreche. Ebenso machen mir meine Vorlesungen sehr viel Freude, welche diesmal fortdauernd mit einer Theilnahme, wie niemals früher, gehört werden. In der Zoologie ist die Zahl der Zuhörer nachträglich auf 40 gestiegen. In dem Colleg über Darwin, welches ich jetzt zweimal wöchentlich lese, sind öfter fast alle Plätze des Auditoriums (175) voll besetzt. ||

Bei unsern Studenten habe ich mir sehr viel Zuneigung erworben. Außer meinen speciellen, sehr talent- und hoffnungsvollen Schülern (Fol, Strassburger, Mikluchow) habe ich noch eine ganze Anzahl, die mich wahrhaft rührend lieben, was mir sehr wohl thut.

Am Sonntag kam eine feierliche a Deputation des studentischen naturwissenschaftlichen Vereins (der gegen 40 Mitglieder zählt) welche mir das Diplom als „erstes Ehrenmitglied des Vereins“ überreichten, eine Ehre, die außer mir noch Niemand widerfahren ist. –

Indem ich so ganz in meiner Wissenschaft lebeb, die mich so sehr befriedigt, suche ich nach Kräften die bitteren Entbehrungen || zu vergessen, mitc denen mein Gemüthsleben fortdauernd zu kämpfen hat. Indessen habe ich jetzt durch harte Übung und Erfahrung gelernt, welche starke Gewalt die geübte Willenskraft über die Gemüthsstimmungen und Neigungen des Menschen erlangen kann. Deshalb ertrage ich auch die schweren Erinnerungen, die grade in diesen bitteren Wochen sich so sehr anhäufen, mit der ganzen Stärke und Selbstbeherrschung, welche dem reifen Manne geziemt. Ihr könnt ganz darüber beruhigt sein, liebste Eltern, daß mich der bevorstehende schwere Tag, an welchem vor 2 Jahren mein so reizend und reich aufgeblühtes Lebensglück plötzlich Schiffbruch litt, nicht die feste Selbstbeherrschung überwinden wird, zu welcher ich durch die täglichen harten Entbehrungen dieser bitterem 2 Jahre gelangt bin. ||

Mein lieber Freund Gegenbaur, an dem ich eine unschätzbare Stütze habe hilft mir mein schweres Leben tragen, wie ich ihm. Er geht zu Ostern nach Würzburg. Seinem Töchterchen gehts gut.

‒ Wir haben Hier nun Zeit seit einem vollen Monat das wärmste Frühlingswetter. Alles grünt und blüht, und man braucht fast nicht einzuheizen. Das ganze Jahr haben wir noch nicht 8 Tage Frost gehabt. –

Der wahnsinnige Obertribunalsbeschluß hat hier natürlich auch allgemein Entrüstung erregt. Ich persönlich freue mich sehr darüber, weil ich glaube, daß sich dadurch diese ehrlose und gewissenlose Regierung selbst ihr Grab gegraben hat.

Grüßt Tante Bertha, der ich gute Besserung wünsche, herzlichst, ebenso Tante Weiß, Tante Gertrude etc.

Mit herzlichstem Gruß

euer treuer Ernst

a gestr.: E; b korr. aus: lebt; c eingef.: mit;

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
10.02.1866
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38586
ID
38586