Jena 23 Dec. 70.
Liebste Eltern!
Als Weihnachtsgeschenk kann ich Euch leider diesmal nichts Weiter schicken, als die Versicherung, daß es mir und meiner kleinen Familie sehr gut geht und daß wir sehr gerne den Weihnachts- Abend morgen bei Euch zubringen würden, wenn es nur irgend angehen könnte. Mein Haupt- Weihnachtsgeschenk ist diesmal die gestern eingetroffene Berufung nach Wien, von der ich Euch schon gestern Abend durch einige kurze Zeilen in Kenntniß gesetzt habe, und jedenfalls einen entscheidenden Wendepunkt in meinem Leben bildet. Ich schicke Euch beifolgend die wörtliche Abschrift der Berufung, von dem Kaiserlichen Minister v. Stremayr. ||
Ihr könnt Euch denken, daß wir heute eine schlaflose Nacht hatten und deren wohl noch mehrere haben werden. Die Berufung ist in mancher Beziehung sehr verführerisch, während sie in anderer sehr abschreckend ist.
Die österreichischen Zustände an sich sind ja höchst abschreckend. Aber wenn ich den großen Kreis von Zuhörern bedenke, den ich in Wien zu erwarten habe, ferner das neue, glänzend eingerichtete, zoologische Institut, und daneben noch ein für Beobachtung von Seethieren eingerichtetes Institut am adriatischen Meere – ein Gegenstand alter Wünsche von mir – so muß ich gestehen, daß die Schattenseiten sehr zurücktreten. ||
Jedenfallsa ist die Berufung ein entscheidender Wendepunkt meines Lebens. Wenn ich hierbleibe, ist dies dann so gut, wie für immer. Ich werde für diesen Fall mindestens 500 Thaler Zulage erhalten, so daß mein Gehalt, das bisher 700 rl betrug, auf 1200 rl steigt.
Heute habe ich mit Seebeck und Hildebrand verhandelt, die natürlich beide mir sehr zuredeten hier zu bleiben. Gegenbaur dagegen, der mich doch am liebsten hier behalten möchte, ist eben so wie ich von den Vorzügen der Wiener Stellung eingenommen, daß er mir nicht unbedingt zur Ablehnung räth. Wenn ich nach Wien gehe, werde ich ein Gehalt von mindestens 6000 Gulden (etwas über 3000 rl) kriegen. Freilich ist es dort doppelt so theuer wie hier, oder noch mehr. ||
Ich werde jedenfalls die ganze Angelegenheit sehr vorsichtig behandeln und nicht übereilen. Die schließliche Entscheidung hat ja ohnehin keine Eile und muss sehr überlegt werden. – Für uns fällt freilich auch die weitere Entfernung von Berlin sehr ins Gewicht, wenn dies auch allein nicht entscheidend sein kann. –
Agnes ist ganz wiederhergestellt und geht täglich aus, auch bei der grimmigen Kälte, die wir jetzt haben (heute 15°!)
Walther ist sehr munter und ausgelassen. Wie gerne brächte ich Euch den allerliebsten Kerl mal hinüber. Nun, liebste Eltern, seid mit den lieben Potsdamern recht vergnügt zusammen, und vergeßt dabei nicht Euren treuen alten Ernst und seine kleine Familie.
Eben beim Schluß des Briefes kommt Eure Weihnachtskiste. Tausend Dank dafür!
b Schinken und Würste schmecken uns vortrefflich.
[Beigegebene Abschrift des Schreibens von Stremayr an Haeckel:]
An Seine, des Herrn Professors
Dr. Ernest Haeckel
Wohlgeboren
Jena.
Euer Wohlgeboren!
An der Universität zu Wien ist durch den Tod des Professors Kner eine der Lehrkanzeln für Zoologie in Erledigung gekommen.
In Beziehung auf ihre Wiederbesetzung hat das Professoren- Collegium der philosophischen Facultät und habe auch ich das Augenmerk auf Eure Wohlgeboren gerichtet. Denn ich erkenne es als dringend geboten, daß das erwähnte für Wien besonders wichtige Lehramt durch eine Persönlichkeit vertreten werde, welche volle Bürgschaft für ein in jeder Richtung ersprießliches Wirken bietet. ||
Gestützt auf die mir gewordene vertrauliche Mittheilung, daß Eure Wohlgeboren nicht abgeneigt sein dürften, einem an Sie ergehenden Rufe an die Universität in Wien zu folgen, gebe ich mir die Ehre, an Eure Wohlgeboren hiermit die Anfrage zu richten, unter welchen Bedingungen Sie bereit wären, das in Rede stehende Lehramt an der Universität in Wien zu übernehmen.
Was die systemmäßigen Bezüge der ordentlichen Professoren der Universität, ihren Rang, Pensions- Anspruch u. s. w. betrifft, erlaube ich mir auf die, aus den beigeschlossenen Druckblättern zu entnehmenden Gesetze vom || 9. April d. J. und die Kaiserliche Verordnung vom 9. December 1866 Reichsgesetzblatt Nr. 157 zu verweisen, hierbei jedoch insbesondere die Aufmerksamkeit Eurer Wohlgeboren auf den §3 des Gesetzes, betreffend die Gehalte der Professoren, zu lenken, nach welchem einzelnen Professoren auch höhere als die systemmäßigen Bezüge und andere Begünstigungen zugewendet werden können.
Es erübrigt mir nur noch, Eure Wohlgeboren zu ersuchen, sich in der geschätzten Erwiderung, der ich entgegen sehe, in allen die berührte Angelegenheit betreffenden Fragen ohne Rückhalt auszusprechen und überzeugt zu sein, daß ich diese Eröffnungen als vertrauliche ansehen || und behandeln werde.
Ihr ergebener
Stremayr
Wien den 19. Decbr 1870.
a korr. aus: Wenn; b weiter am Rand von S.4.