Ernst Haeckel an Agnes und Charlotte Haeckel, Schloss Wildhaus, 19. August 1882

Wildhaus 19 August 82

Ihr theuren Lieben in Jena und Potsdam!

Übermorgen (Montag, 21.) verlasse ich das anmuthige Wildhaus. Die 10 Tage, die ich dann hier zugebracht habe, waren fast ganz dem Studium der Ceylon-Landschaften gewidmet, an denen ich mit Professor v. Königsbrunn um die Wette fleißig gearbeitet habe. Unser lieber Gastfreund Ritter von Carneri hatte uns einen ganzen Flügel seines Schlosses eingeräumt, in welchem wir unser Atelier ausbreiten konnten. 2 westlich gelegene Zimmer bewohnen wir, während 2 südlich gelegene das Atelier bilden. Ich habe Viel für meine Landschafts-Malerei gelernt und mit Königsbrunn die Vorbereitungen für die Herausgabe des illustrirten Ceylon-Werkes gründlich besprochen. || Ritter Bartholomaeus von Carneri, einen großen Verehrer meiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“ kenne ich zwar schon seit Jahren (u. A. war er auch 1878 in Wien bei der Concordia-Feier), – doch habe ich ihn erst jetzt näher kennen gelernt; und zwar als einen höchst liebenswürdigen, einfachen, herzensguten und sehr gebildeten Mann. In den Mußestunden, welche ihm die Bewirtschaftung seines großen Gutes und seine politische Thätigkeit läßt, beschäftigt er sich hauptsächlich mit Natur-Philosophie, und hat ein paar gute Bücher über „Darwinismus und Sittlichkeit“ geschrieben. Auch ist er ein großer Kenner und Verehrer von Goethe: Im Österreichischen Reichsrathe gilt er als einer der besten Redner und der tüchtigsten deutschen Patrioten. ||

Seine Frau und seinen erwachsenen Sohn hat er vor mehren Jahren verloren und lebt allein mit seiner einzigen Tochter Francisca; einem sehr netten und gescheuten, aber stillen und ernsten Mädchen von cc. 24 Jahren. 2 alte Tanten bilden die Ergänzung der Gesellschaft. Die Mahlzeiten, die wir gemeinschaftlich einnehmen (– früh 7 Uhr Caffe, 12 Uhr Mittagbrod, 5 Uhr Caffe und Früchte, 8 Uhr Abendbrod –) waren stets sehr heiter, da Herr Carneri sehr lebhaft, heiter u. gesprächig ist; der Baron von Königsbrunn aber einer der schaurigsten Käuze, die mir je vorgekommen sind: Vegetarianer und Misanthrop, schwärmerischer Idealist und Naturfreund, mit dem besten Herzen und tiefen Gemüth, aber voll schiefer u. einseitiger Urtheile. || Mich hat er zärtlich in sein Herz geschlossen und arbeitet eifrig mit an dem Zustandekommen des Ceylon-Werks. Seine Zeichnungen sind wunderschön und unübertrefflich. – Abends von 6–8 machen wir regelmäßig einen Spaziergang. Die Gegend ist schön und großartig, aber sehr ernst und einförmig. Das Schloß liegt ganz im Grünen, am Abhange eines waldigen Berges am nördlichen Drau-Ufer; gegen über am südlichen das grüne, einsame, dicht bewachsene Bacher-Gebirge. Die Vegetation der „grünen Steiermark“ ist hier sehr üppig. Das Wetter war meistens schön. – Am 25 u. 26. werde ich in München sein (Rheinischer Hof); am 27 und 28. in Stuttgart (Adresse Keller-Leuzinger (Alexanderstr. 5)). Am 30. in Jena.

Herzlichen Gr Euer treuer Ernst.

Brief Metadaten

ID
38519
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Slowenien
Entstehungsland zeitgenössisch
Österreich-Ungarn
Zielort
Zielland
Deutschland
Datierung
09.08.1882
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,5 x 22,9 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38519
Zitiervorlage
Haeckel, Ernst an Haeckel, Agnes; Haeckel, Charlotte; Schloss Wildhaus; 09.08.1882; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_38519