Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Jena, 25. Juli 1862

Jena 25.7.62.

Das ist nun schon der vorletzte Brief, süßer, bester Schatz! den ich aus meinen einsamen 4 Wänden an Dich sende! Außer diesem nur noch ein einziger Papier-Gruß, und unsere Correspondenz ruht auf lange Zeit! Dann wird der Gedanke nicht mehr den häßlichen langen Umweg über das Papier nöthig haben, um in Dein Herz zu gelangen, sondern auf dem süßen Wege der Lippen und der Umarmung zu Dir fliegen!

Wie glücklich mich dieser Gedanke macht, wie er über all mein denken und thun jetzt schon den lautersten Sonnenschein der reinsten Seligkeit strahlt, brauche ich Dir nicht erst zu sagen, Du liebstes, bestes Mädchen! Die Wonne, die mir aus jeder Zeile Deines so besonders lieben letzten Briefes entgegenjubelte, ist nur das Spiegelbild der glückseligen Zufriedenheit und zukunftssicheren Hoffnungsfreude, die auch mein ganzes Dasein durchdringt und mich schon fast an nichts Andres mehr denken läßt, als an die nahende Vereinigung. ||

Morgen über 3 Wochen ist also wirklich unser Polter-Abend! und vom nächsten Dienstag an sinkt die Zahl der Tage, in denen wir noch getrennt sind, schon unter Zwanzig! Wenngleich die Ungeduld uns diese 3 Wochen noch will als Ewigkeit erscheinen lassen, so glaube ich doch, daß sie im Versehen verflogen sein werden, und ehe wir es selbst denken. Für mich wenigstens giebt es in diesen paar Wochen noch so Viel zu thun, daß mir schon jetzt bei dem Gedanken daran etwas heiß wird! Von den Radiolarien giebt es mindestens noch 10 Correcturbogen, die Vorrede, Inhaltsverzeichniß und Tafelerklärung müssen sogar erst noch geschrieben werden! Dazu muß ich noch die Bestimmung und Ordnung der Corallen-Sammlung im Zoologischen Museum, die ich erst nach Antritt meines Directoriums als erstes großes Geschäft begonnen habe, zu Ende bringen!

Endlich wird mich auch der Schluß der Vorlesungen noch sehr in Anspruch nehmen. Also wirds die letzten 14 Tage hier noch heiß genug mit der Arbeit her gehen! ||

Den nächsten Brief richte ich nun wohl schon nach dem Hafenplatz! Das wird dann definitiv der letzte sein! Heute über 14 Tage darfst Du dann den Briefschreiber selbst wieder an Dein Herz drücken, was Du doch am Ende lieber thust, als den Brief! Ich denke den 7, spätestens 8 August hier abzureisen und Abends in Berlin einzutreffen. Da vermuthlich Mutter noch nicht zurück sein wird, erlaubt mir vielleicht meine Tante Minnchen bei ihr zu wohnen?? Vielleicht bleibe ich 1 Tag in Merseburg, um noch einmal als Junggeselle die Orte zu schauen, auf denen ich den größten Theil meiner ersten Lebenshälfte verlebt habe. Diese schließt ja nun ab, und es beginnt die zweite, schönere Hälfte, wo ich erst recht zu leben anfangen werde. Liebchen, wie glücklich macht mich Dein Besitz! Aber nicht allein glückselig, wie nur ein innigst liebender Jüngling es werden kann, nein, auch besser, edler, reiner wird mich das stete Zusammenleben mit Dir, das ganze Aufgehen meiner Person in Deiner, sicherlich machen! ||

Wie steht es denn mit den Zeugnissen? Hast Du Alles schon an Richter abgeschickt? Sonst thue es ja gleich. Es wird die höchste Zeit. Wenn im Laufe dieser Woche nicht die Zeugnisse hier eintreffen und wieder zurückgesandt werden, so kann das Aufgebot nicht hier erfolgen und wenn das nicht zum ersten Male am 3. August geschieht, so würden wir die Hochzeit 8 Tage hinausschieben müssen. Das wäre aber doch höchst fatal, zumal meine Freunde schon zum Theil darauf zugesagt haben. Sicher werden kommen Krabbe, Focke und August Merkel. Dagegen hat zu meinem großen Leidwesen Allmers definitiv abgesagt!

Ich schicke Dir seinen Brief mit und überlasse es Dir, ob Du noch einmal versuchen willst, durch ein Bittschreiben von Deiner Hand sein Herz zu rühren. Ich zweifle aber diesmal fast daran. Seine Adresse ist: Hrn. Gutbesitzer Hermann Allmers zu Rechtenfleth bei Dorf Hagen (Königreich Hannover). Auch Louis Mulder und Gonne haben abgeschrieben. Sie wollen eine Harzreise machen zu selben Zeit und dann nach Aurich gehen, wie schon längst beschlossen war. || Louis Mulder meint übrigens, daß es reine Illusion wäre, wenn ich mir einbildete, während der Zeit vom 10 ‒ 18 meine Freunde zu genießen!

Ich würde, selbst wenn ich weniger unergründlich verliebt wäre, als ich in der That bin, mich doch nur mit dem geliebten Gegenstande ausschließlich beschäftigen. Und hierin muß ich ihm fast Recht geben! Dieser Gedanke allein kann mich über das Wegbleiben mancher lieben Freunde eingermaßen trösten. Im Grunde muß ich Dir gestehen, liebster Schatz, daß ich gar nichts dagegen hätte, wenn die ganzen großen Festlichkeiten schon am Schlusse angelangt wären und ich mir mein Liebstes, Bestes auf der Welt, den Edelstein meines Lebens, „aus der Menge wilder Reihen gerettet“ hätte! Ach, wenn ich erst das reizende Lied Uhlands denken darf, das Dir auf dem beiliegenden gelben Blättchen von der Seligkeit des 18. August vorerzählt!

‒ Von meinem Leben in der letzten Woche ist wenig zu melden. Es war meist Regen und recht gut zur tüchtigen Arbeit. Vorgestern Abends war ich bei Seebecks, die sehr liebevoll waren und sich wirklich fast wie Eltern über uns freuen! Wir haben schon Vielerlei vom netten Zusammenleben im Winter gesprochen. ||

Verflossenen Sonnabend machte ich bei schönem Sonnenblick nach langer, dreiwöchentlicher Rast einmal wieder einen großen Spaziergang mit Gegenbaur. Wir gingen über Ammerbach durch den Nennsdorfer Grund herauf nach Bucha, dann über Pösen in das Leutrathal herunter. Dies ist ein reizender, von einem reichen Forellenbach durchströmter Waldgrund mit den reizendsten Parthieen, die mir noch ganz neu waren. Über Leutra, Maua, Göschwitz, Burgau kamen wir zurück. Ein hoher Genuß! Gegenbaur behauptete, meine Geistes-Abwesenheit nähme so sehr zu, daß an mich baldigst müßte nach Berlin transportiren lassen! ‒ Deine Tour nach a Misdroy hat mich recht gefreut.

Ich wünsche Dir zu guter letzt noch recht schöne Tage! Frau Dohrn ist erst vorgestern mit ihrem Sohne abgereist, der von seiner schweren Krankheit noch ein paar schwere Rückfälle bekommen hatte.

‒ Grüß Dein liebes Heringsdorf zum Abschied noch recht schön, liebster Schatz! Den nächsten (letzten!!) Brief also nach Berlin. Nochmals besten Dankb für Deine letzten, sehr, sehr lieben Zeilen. Grüß Mutter und Agnes schön und laß Dir den innigsten, wärmsten Kuß von Deinem lieben Erni geben, der Dich in 22 Tagen seine kleine, liebe Frau nennen wird!

a gestr.: Miß; b eingef.: Dank

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
25.07.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38421
ID
38421