Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Berlin, 2. September 1858

Berlin Donnerstag 2/9 58

Obgleich ich eben erst, nach 10½ Uhr, nach Hause gekommen, und von einer tüchtigen Excursion rechtschaffen ermüdet bin, so muß ich doch noch ein wenig mit Dir plaudern, mein bestes Herzensschatzchen, und Dir erzählen, was ich heut für einen netten Tag verlebt habe. Zwar wäre das eigentlich sehr kurz abgemacht. Denn im Grunde war es doch der beständige Gedanke an Dich, liebes Herz, das sichere Gefühl innigster geistiger Gemeinschaft und die freudige Hoffnung, Dich nun so bald auch wieder zu sehen, was alles mich so froh und munter machte. Doch sollst Du auch noch etwas Näheres hören; da Du vielleicht, und hoffentlich, heut auch einen recht frohen Tag hattest. Meine Freunde, namentlich Hartmann, hatten mich schon lange gequält, einmal wieder eine Excursion mit ihnen zu machen. Ich hatte aber gar keine rechte Lust (vielleicht räthst Du die Gründe?) und schob es immer weiter hinaus. Endlich konnte ich es aber doch nicht weiter abschlagen, zumal sie immer mir vorhielten, daß dies wohl die letzte Excursion sein würde, die ich mit ihnen gemeinsam, wenigstens in diesem Jahre, machte. Und da heute nach vielen kalten und regnichten Tagen zum erstenmal eine schöne Herbstsonne vom klaren Himmel schien, so machten wir uns auf den Weg, und in der That konnten wir es nicht bereuen, so belohnt durch guten Erfolg und erfreut durch muntere, liebe Geselligkeit wurden wir.

Um 1 Uhr Mittags rückten wir, sechs Mann hoch vom Museum aus: Martens, Hartmann, v. Bezold, Chamisso, ich und Graff, der Diener und Gehülfe in unserm anatomischen Museum, ein sehr lieber netter Mensch, sehr gebildet und ein echter leidenschaftlicher Natur-Freund und Forscher. Wir fuhren zuerst bis Charlottenburg, und gingen von da, theils durch Sandhaide und Kiefernwald, theils über hübsche, feuchte Wiesengründe und grünes, frisches Laubgehölz, nach Tegel. Die Parallele mit unserer ersten (und bisher einzigen) Excursion dieses Sommers, nach Tegel (am Himmelfahrtstag) beschäftigte uns lebhafta und lag insbesondre mir beständig im Sinn, und mit gutem Recht! || Erinnerst Du Dich vielleicht noch, mein liebes Herz, was das für ein schwerer, trauriger Tag für mich war? Wie da Alles zusammen kam, um mir den eben erst geschlossenen Bund unserer Herzenb, der doch so ganz natürlich und ohne unser und anderer Zuthun herbeigeführt war, als unglücklich, ja als unmöglich erscheinen zu lassen. Noch jetzt erschrecke ich, wenn ich an die Qualen denke, mit denen mein kleinmüthiger Zweifelsinn mich damals folterte, so unerträglich, daß ein rascher Tod mir als die größte Wohlthat erschienen wäre! Und wie ist das seitdem Alles anders geworden! Wie haben sich meine Zweifel in Hoffnung, meine Furcht in Freude verkehrt! Der sichere, vollkommene Besitz Deines lieben treuen Gemüthes, dessen ich damals nicht würdig, nicht fähig sein zu können glaubte, macht mich jetzt so glücklich, daß durch ihn allein das Leben, an dem ich schon ganz verzweifeln zu müssen glaubte, mir wieder lieb, werth, hoffnungsreich wird! Ach meine herzige Änni, wie muß ich Dir Deine Liebe danken, daß Du meine Schwachheit so mit Geduld getragen hast und Du mir den schweren Kampf hast durchkämpfen und siegreich bestehen helfen, indem ich schon unterzugehen meinte. Könnte ich Dir nur mein ganzes Herz öffnen, und es so zeigen, wie es heute Deiner ganzen vollen Liebe mit stolzer Freude und stiller Seeligkeit sich bewußt war, wie es bei jedem Blättchen der Erinnerung an den ersten dies Jahr in Tegel verlebten Tag (und auch an den zweiten, kaum weniger trüben, als wir mit Bertha draußen waren) froh aufjauchzte, daß jetzt Alles so viel anders, besser und schöner geworden, daß die Befürchtungen in Nichts zerflossen und die Hoffnungen aufs schönste in Erfüllung gegangen. Ach mein liebster Schatz, laß uns an dieser Hoffnung treu festhalten, und habe Geduld und Nachsicht mit mir, wenn noch zuweilen der skeptische Sinn und das im Ungewissen schwankende Selbstbewußtsein nicht so lieb und werth mich Dir erscheinen lassen, als Du es wünschst. Gewiß, diese dunklen Stunden werden immer seltener und am Ende reift gewiß auch jene Erfüllungsstunde der schönsten Hoffnung heran, die uns auf ewig vereint! ||

In Saatwinkel traten wir an den Tegeler See, auf den man nach beiden Seiten hin, längs der wald- und gebüsch-bekränzten Ufer einen sehr hübschen Blick hat. Nachdem wir unter vielen Scherzen Kaffee getrunken, nahmen wir einen Kahn, und fuhren damit allein ein paar Stunden auf dem See herum, um microscopische Thierchen und Pflänzchen zu fischen. Wir fanden eine Menge herrlicher Alcyonellen, der kleinen reizenden Federbuschpolypen (Bryozoen) die ich auch von Rüdersdorf mitgebracht hatte. Sie saßen mit wunderschönen Räderthierchen, Schneckenembryonen etc an der Unterseite der großen Seerosenblätter, in prächtigen, sternförmigen Kolonien. Auch allerliebste Anneliden, kleine reizende Röhrenwürmchen, Naiden, muntere, bewegliche, liebe Thierchen, schlängelten sich in Mengen durch das Wasser. Sonderbar daß ich jetzt diese mir früher gleichgültige Klasse so bevorzuge.

Bezold und ich erquickten uns durch ein prächtiges Schwimmbad vom Kahn aus, wobei ich schon die Freuden des Seebads im Vorgefühl genoß. Den Rest des Abends saßen wir noch sehr fröhlich und munter am Ufer des Sees, bei schöner Abendbeleuchtung mannichfaltig gestalteter Wolkengruppen, die sich in der klaren Wasserfläche wiederspiegelten. Ebenso war auch der Rückweg durch den Wald, über Moabit, bei prächtigem Sternenhimmel über uns (der liebe Mond kömmt jetzt leider so spät) ganz allerliebst und ich war den ganzen Nachmittag so ausgelassen lustig, daß meine Freunde es gar nicht begriffen, bis sie es zuletzt alles der Jenenser Braut, die jetzt schon stereotyp wird, in die Schuhe schoben. Da mir der Mund doch immer von Dir Liebsten, die mein ganzes Herz füllt, überfloß, so ging ich darauf ein und wurde nur immer lustiger. Fast die Hälfte des Heimwegs wurden beständig Studenten-und Volkslieder gesungen, wobei ich meist zuerst anstimmte. Als ich bei dem Liede: „Stoßt an, Jena soll leben“ – den Vers „Stoßt an, Frauenlieb lebe, hurrah hoch! Wer des Weibes weiblichen Sinn nicht ehrt, der ist wohl des Namens Mann nie werth“ – ganz allein sang, und || mit so begeisterter jubelnder Stimme, daß es den ganzen Wald durchklang, da brach auch Hartmann heraus: „Na da haben wirs, nun bin ich aber wirklich überzeugt, daß er gänzlich verliebt ist!“ –

Ach, Schatzchen, mir ists immer als müßt ichs allen Leuten sagen, damit sie Dich mit lieb haben! Als Martens, mit dem ich jetzt La Locandiera di Goldoni und Il conte di Carmagnola, di Manzoni Abends lese, gestern plötzlich ganz von selbst über Dich zu sprechen anfing, Deinen Natursinn so lobte und bat, ich möchte nur bald mit Dir wieder hinaufkommen aufs Museum, da wäre ich ihm beinah vor Freuden um den Hals gefallen und hätte ihm Alles gesagt. Ich denke es auch zu thun, wenn ich von Heringsdorf zurückkomme. Wir plauderten dann noch lange von Dir. Martens ist ein gar zu lieber, prächtiger Mensch, ein so tiefes inniges Gemüth, ein so kindlicher, reiner Natursinn, daß ich ihn alle Tage lieber gewinne. Vielleicht wird er mich mit Alexander Braun in Heringsdorf besuchen. –

Heute habe ich auch einmal etwas verdient mein Schatzchen! Ich habe nämlich einem Prof. Bruehl aus Krakau, der jetzt das Museum unter unserer Aufsicht (!) benutzt und ein größeres Werk über Fische schreibt, meinen großen Haifischkopf aus Nizza, an dem ihm sehr viel lag, für 2 rℓ verkauft und für 1 rℓ noch ein paar andere kleine Haifische. Von diesem Erwerb habe ich nun meiner Herzallerliebsten etwas gekauft, von dem ich hoffe, daß es ihr Freude machen wird. Das ist doch die beste Anwendung, die ich davon machen konnte. Das Museum benutze ich jetzt so fleißig als möglich. Nur sind leider die Gedanken nicht so da wie die Augen. Ja die dummen Dinger werden mit jeden Tag unnützer. Sie wollen gar nicht mehr Stand halten und fliegen mir alle Augenblicke nach der Ostsee! [Text bricht ab.]

a gestr.: beschäftigte; eingef.: lebhaft und; b eingef.: Herzen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
02.09.1858
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38349
ID
38349