Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe, Berlin, 15. Juni 1860

Berlin 15.6.60.

Freitag Morgen.

Heut sind es nun schon 8 Tage, liebster Schatz, daß Du mir genommen bist, 8 lange, düstere Tage, die ich sammt ihrem Wuste trauriger Gedanken gern streichen möchte.

Wie die Pflanze, der das belebende Sonnenlicht genommen ist, bin ich ohne Dich, meine Sonne, kalt und todt, fühle mich schwach und unwerth und kann nicht ohne Dich wachsen und gedeihen. Du glaubst nicht, wie befangen und trübe mein Sinn diese ganze Woche war; so schwer und traurig, daß ich nicht einmal Dir schreiben mochte, weil ich fürchtete daß Du einen so bösen Erni nicht haben möchtest und recht auf mich schelten möchtest. Suche nur den Grund, worin Du willst; ich kann ihn nur in den Trennung von meinem besten Lebensprincip finden. Oder, wenn Du lieber willst, suche ihn in veränderter Electricität der Luft oder der Nerven, oder was es sonst noch denkliches gibt. Es läuft doch alles in dem einem Factum zusammen, daß alle meine Gedanken, wenn sie nicht bei Dir sind, nur halb so brav und gut sind und daß ich selbst nur halb bin. Eine äußere Ursache für meine melancholische Stimmung, aus der ich mich vergebens herauszureißen und zu ermannen suchte, könnte ich Dir wirklich kaum angeben. Im Gegentheil habe ich wieder einmal, und in sehr wichtigen Dingen, so viel Glück gehabt, daß ich von Rechtswegen recht munter und vergnügt sein dürfte. Aber, wie könnte ich das ohne Dich, meine beste, meine einzige Änni, die zu aller Freude und Lust mein erstes und letztes, unumgängliches Erforderniß ist. Ach lieber Schatz, wenn ich Dich erst ganz besitze, dann werden solche böse traurige Tage gewiß für immer fort sein und Dein lichtes Sonnenauge wird die trüben Wolken der Schwermuth für immer verscheuchen. Doch vergiß diesen bösen, subjectiven Erni und höre, wie es dem objectiven in den letzten Tagen ergangen ist. ||

Montag früh besuchte ich in seinem Atelier in der Karlstraße Wilhelm Brücke, den Bruder unsers berühmten Wiener Physiologen und Intimus von Allmers. Ich hatte hier schon früher einmal bei seinem Vater kurze Zeit Zeichenstunde gehabt. Er freute sich sehr, mich wiederzusehen und mit mir von Italien zu plaudern. Es ist ein sehr lieber, netter, sanfter Mensch, poetisch-sinnig und ein recht tüchtiger Historienmaler. Am Mittag ging ich zu Georg Reimer, der mich durch die unverhoffte Mittheilung überraschte, daß er sehr gern bereit sei, das Radiolarienwerk zu übernehmen und mir 30 Kupfertafeln dazu zu bewilligen. Ganz besondere Freude machte mir aber dabei die Mittheilung, daß der den tüchtigsten unserer naturwissenschaftl. Kupferstecher dazu genommen habe, Hrn. Wagenschieber, der auch schon meine früheren Kunsttafeln gestochen hatte. – Nachmittag präparirte ich liqueur conservativ um meinen dürstenden Messina Thierchen neu zu trinken zu geben. Abends hatte ich eine kleine Gesellschaft, die recht nett war, und der nur Du fehltest, um sie ausnehmend reizend und hübsch zu machen. Es waren da die beiden Freunde von Allmers, Bruecke und Hr. v. Doernberg, welche meine künstlerischen mitgebrachten Schätze gar nicht genug bewundern konnten, so daß Dir gewiß die Ohren vom Lobe Deines Erni und vom Preisen seiner glücklichen Braut geklungen haben müssen. Das ging mir freilich ganz anders Herzen, als die gezierten Lobsprüche in der Abendgesellschaft bei Peters. Die beiden Künstler fanden natürlich in technischer Beziehung sehr viel an den Aquarellen auszusetzen. Um so mehr lobten sie aber das Geschmackvolle und z. Theil Großartige der Auffassung, die Wärme und Innigkeit des daraus sprechenden Naturgefühls. Am meisten waren sie aber über die Menge der Blätter erstaunt und meinten, daß nur wenige Künstler von Fach in so kurzer Zeit sich so viel Material sammelten. || Da die Lobsprüche von urtheilsfähigen Künstlern und aus warmem, offenem Herzen kamen, erfreuten sie mich sehr, wie mir dann überhaupt das ganze Gespräch sehr viel Freude machte. Diese jungen Künstler haben alle in ihrer Unterhaltung etwas ungezwungen Natürliches, heiter Offenes, und phantasiereich poetisches und besonders ich weiß diese Eigenschaften, die den jungen Gelehrtena meist, (und auch vielen Naturforschern) nur zu sehr abgehen, wohl zu schätzen. Ich wurde dabei ganz warm und lebendig und vergaß die trübe melancholische Stimmung, wenngleich die alte Reue, nicht lieber Künstler, und in specie Landschaftsmaler, geworden zu sein, mir die lichten Gedanken etwas verdüsterte. –

b Auch Tante Weiß war da, und sehr lieb.

Dagegen ging der alte Prof. Passow, der anfangs auch mit einem Mecklenburger Fräulein da war, glücklicherweise bald fort. –

Dienstag früh war Prof. Peters hier, um die zoologische Sammlung von Messina in Augenschein zu nehmen. Da wurde denn zur Abwechslung auch einmal der Naturforscher gelobt und zwar in einer Weise, wie ich es nicht erwartet hatte. Peters konnte die Zahl und Mannichfaltigkeit der Thierchen, ihre gute Erhaltung und treffliches Aussehen, nicht genug bewundern; er wollte die ganze Sammlung gleich für das königl. Museum acquiriren, was ich jedoch nur theilweis versprach, da ich einen Theil für meine eigenen Vorlesungen behalten will. Doch ließ er einige 20 Flaschen sofort holen und ließ mir als vorläufige Abschlagszahlung einen Hunderthalerschein zurück! Du kannst denken, was da der Alte für Augen machte!! Um Dir einen Begriff vom Werthe meiner kleinen Bestien zu geben, will ich nur anführen, daß er jeden der beiden kleinen durchsichtigen Cephalopoden von 2 – 3″ Länge auf 15 Thlr schätzte, jedes der beiden langen dünnen Silberfischchen auf 10₰, jedes der durchsichtigen Wurmfischchen (Helmichthyden) auf 1₰. ||

Zufälligerweise ist jetzt grade der Prof. Kaup aus Darmstadt hier zum Besuch, welcher der genaueste Kenner der Helmichthyden ist und meine Schätze sofort forderte und bestimmte. Er fand aus dieser einen kleinen Familie nicht weniger als 10 verschiedene Arten, darunter drei ganz neue, von denen er eine c „Leptocephalus Haeckelii“ genannt hat. Also d wird der Name Deines Erni im Reiche der Fische (wo ich auch die erste Arbeit, 1854, über die eine der Scomberesoces machte) zum erstenmale durch eine nach ihm benannte Art verewigt werden. – Dienstag Nachmittag ging ich zu Wagenschieber, bei dem ich mehrere Stunden plauderte. Ich freute mich sehr über das Verständniß und die e richtige Auffassung meiner Zeichnungen und ganz besonders über die außerordentliche Lust und Liebe, mit der er an das Stechen der Tafeln ging. Ich hätte in der That keinen bessern und passenderen Kupferstecher dafür finden können. Die erste ist schon in Arbeit. Sie werden ungleich besser und künstlerisch richtiger ausgeführt, als meine f Zeichnungen sind. Die architectonische Regelmäßigkeit und die zierliche Ausschmückung der Radiolarien machen ihm solche Freude, daß ich darin die beste Garantie für die ganz ausgezeichnete Ausführung der Tafeln besitze. Ein Jahr wird freilich vergehen, bis alle 30 fertig sind. So lange werde ich aber auch mit der Ausarbeitung vollauf zu thun haben. – Mittwoch Morgen hatte ich nach einander Besuch von Wagenschieber, der sich die Radiolarien unter dem Microscop ansehen wollte, Schneider, der auch über die Salpen und Pteropoden ganz entzückt war, Peters, der sich den Rest der Helmichthyden holte und Braun, welcher mich zum Abend zu sich einlud. ||

Der Abend bei Brauns hätte recht nett sein können, wenn ich nicht zu viel nach Ems gedacht hätte; so aber war ich sehr still und wünschte mich sehnlichst in meinen kleinen grünen Tempel, wo freilich jetzt das Götterbild zur Anbetung fehlte. Liebchen, ohne Dich bin ich gar Nichts mehr nütze!

– Außer einem amerikanischen Dr. nebst Frau waren da Beyrich’s, Dr. Ewald und Prof. Kaup. – g Gestern, Donnerstag arbeitete ich früh auf der Bibliothek. Um 12 ging ich zu Peters, wo ich zum Früchstück geladen war und ganz unvermuthet seinen Bruder nebst Frau aus Messina traf. Du kannst denken, was wir da alles durchgeplaudert haben. Ich erfuhr durch sie zum ersten mal Genauers über den Zustand von Messina, der noch schrecklicher sein muß, als ich gedacht hatte. Nachdem ich am Palmsonntag 1. April abgereist war, erfolgte am Samstag 7/4 die Erhebung, und am folgenden Tage, Ostersonntag, ein sehr mörderischer Straßenkampf. Die meisten dort wohnenden Fremden verließen mit dem grade im Hafen liegenden Messagerieboot die Stadt.

Frau Sarauw floh mit den Kindern nach Malta, Fr. Peters folgte erst 8 Tage später. Die Männer blieben noch dort, um erst ihre Habseligkeiten zu verpacken, sind aber jetzt auch alle abgereist, bis auf den alten und jungen Hrn Jaeger, welche große Fabrikgebäude und viel anders mobiles und immobiles Eigenthum dort besitzen. Diese haben ein Schiff gemiethet, auf dem sie im Hafen wohnen und mit Sorgen der Dinge warten, die da kommen sollen.

Dr. v. Bartels ist noch in Messina und hofft in nächster Zeit bedeutende chirurgische Feldpraxis zu bekommen.

Ehlers und Keferstein, von denen ich gestern einen Brief bekam, sind gleichfalls mit dem ersten vapore, also nur 1 Woche nach mir, abgereist, haben also von Sicilien gar nichts gesehen, dagegen einen sehr schönen Frühling in Rom verlebt. || Sie sind am 1 Juni in Göttingen wieder eingetroffen, von wo Ehlers, da er meine Adresse verloren, dagegen den Hafenplatz N. 4 noch wohl im Gedächtniß hatte, einen sehr zierlichen Brief an Dich componirt hat, dem der meinige eingelegt war. – Was nun aus Messina, als dem Angelpunkt Siciliens wird, ist ganz unklar und Peters’ haben eben so wenig eine Idee davon, als andere Leute. Doch hoffen sie, bis zum Herbst würde sich alles arrangirt haben. Die große Frage ist nur das Wie? – Gestern Nachmittag bekam ich einen Brief von Barth, worin er mich bittet, am 6ten die Etnabesteigung vorzutragen, was ich auch wohl thue und also erst am 7. nach Freienwalde gehen werde. – Gestern Nachmittag war Prof. Kaup da, um meine mitgebrachten Sachen zu bewundern und blieb auch den Abend da. Er erzählte viel von England, wo er öfter gereist hatte. –

Heute früh beendigte ich auf der Bibliothek die Excerpte aus Ehrenbergs Mikrogeologie, deren tröstliches Schlußresultat ist, daß keine einzige der Ehrenbergschen Arten mit einer der meinigen übereinstimmt, und daß ich mich überhaupt sehr wenig, vielleicht gar nicht, um seine zwar sehr extensiven, aber desto weniger intensiven Arbeiten zu kümmern brauchen werde. Jedenfalls kann ich in voller Ruhe und Selbständigkeit mein eigenes Radiolariensystem ausbauen, worauf ich mich schon sehr freueh. Ich wünschte nur, alle die kleinen zahlreichen Geschäfte und Arbeiten, i das Einrangiren und Bestimmen der Sammlungen etc auf dem Museum, wären erst beendet, damit ich mich in voller Muße mit ganzer Kraft auf das Hauptwerk legen kann. Das Zeichnen der Tafeln wird allein einige Monat in Anspruch nehmen. –

Als ich heut Mittag nach Haus kam, fand ich Karl vor, welcher in lebhaftem Gespräch mit den Eltern über die unangenehmen Affaire Deines Bruders Karl begriffen war. || Carl und Mimi sind (und wie mir scheint, mit vollem Recht) sehr aufgebracht darüber, daß ihr ihnen nicht direct die Sache geschrieben habt. Sie erfuhren es beide gleichzeitig durch dritte Hand, Mimmi durch einen Brief von Bertha und Karl gleichzeitig auf der Eisenbahn durch einen Bekannten, der von Neu Ruppin kam, wo die Sache, natürlich durch die böse Fama möglichst entstellt und vergrößert, seit mehreren Tagen Stadtklatsch war. Du kannst denken, wie sehr sie es betrübt hat. Ich habe aber daran wieder ein neues Beispiel, wie es immer das Beste ist, ganz offen und ehrlich überall zu Werk zu gehen. – Carl wird nun morgen früh mit mir direct nach Coburg fahren, von wo ich Mittwoch nach Jena gehe und wahrscheinlich bis Freitag dableibe. Schick aber doch lieber Deinen Brief so, daß er vorj Donnerstag ankömmt und adressire ihn an Dr. H. p. Adr. Professor Gegenbaur, Jena.

Ich hatte immer im Stillen gehofft, heut noch einen Brief zu bekommen, aber leider vergebens. Vielleicht kömmt nun morgen einer, den ich hier bestellen werde mir nachzuschicken. Sonnabend werde ich jedenfalls wieder hier sein.

Für Deinen ersten Brief aus Ems, der mich Dienstag früh, sehnlichst erwartet, erfreute, besten Dank, liebster Schatz. Du schreibst mir nur leider eigentlich gar nichts von Dir, und mußt Du mir das im nächsten besser nachholen.

(N.B. Frankire aber nicht wieder in Nassau mit Preußischen Freicouverts, da das hier 4½ Sgr Strafe kostet). Schreib mir k nur recht ausführlich, wie es Dir geht und wie Du Deinen Tag eingetheiltl hast, und laß Dich nochmals aufs dringendste gebeten sein, liebstes Herz, dichm recht sorgfältig in Acht zu nehmen und recht streng das vorgeschriebene Regim zu beobachten.

Carl, der ja Ems kennt und behauptet, es sei ihm sehr gut bekommen, läßt Dich noch besonders dringend bitten, körperlich und geistig die größte Ruhe einzuhalten. || Ebenso ermahnt Dich Quinke, Deiner Quecksilbernatur einmal auf 5 Wochen ganz untreu zu werden, damit Du rascher um so munterer und flinker herumspringen und Dich mit Deinem Erni Deines Lebens freuen kannst. Besonders läßt Quincke Dich noch vor der Abendkühle warnen. Du möchtest Morgens und Abends möglichst früh im Haus sein und dann möglichst lange im Bett liegen; überhaupt vollkommene Ruhe und Ausspannung. Thu mirs zu Liebe, meine beste Änni, und schone Dich recht sehr und nimm Dich recht in Acht.

Denke nur immer daran, wie sehr viel schweren Kummer und bitteres Leid Du uns beiden sparen kannst, wenn Du jetzt Deine Krankheit ganz los wirst und als meine ganz gesunde, frische Änni heimkehrst. Stecke also den kleinen, muntern Strick einmal 5 Wochen in den Käfig und lege ihm so viel Fesseln als möglich an.

Wir wollen uns schon nachher in Freienwalde und Heringsdorf entschädigen. Auch mit der Diaet beobachte genau Quinckes Vorschriften und halte Dich mehr an diese, als an die des Bade-Quacksalbers. – Ich muß abbrechen liebste Änni, da ich Jacobis und Reimers in Mutters Stube höre, welche heut bei uns mit Heinrich Thee trinken. Gehab Dich also wohl, mein bestes Herz, nimm Dichn recht sorgfältig, mir zu Lieb, in Acht, sei nicht leichtsinnig und laß Dir die Kur recht gut bekommen. Schreib mir recht bald, und soviel, als ohne Dich aufzuregen (was Du vor allen vermeiden sollst) möglich ist. Die Eltern und Karl grüßen Mutter und Dich herzlich. Und Du bekommst noch speciell einen innigen Kuß von Deinem treuen Erni. ||

Ein ganz besonderes Zettelchen muß ich noch einlegen, liebster Schatz, als Dank für die reizenden Verse im vorletzten Briefe durch welche Du mir eine große Freude gemacht hast. Sie kamen grade an am Freitag früh, als mir recht düster und traurig zu Muthe war und haben mich recht aufgeheitert und erquickt.

„Wie beglückt mich doch die Liebe

In dem Herzen meiner Braut!

Die, wenns ewig Winter bliebe

Frisches Grün und Rosen schaut!“ ||

Nun noch innigsten Gruß und Kuß liebste Änni und nochmals schönsten Dank für die lieben Briefe. Das nächste Mal sollst Du nicht so lange warten. Auch an Mutter schönen Gruß von mir und den Andern.

Halt Dich recht frisch und halte froh und muthig aus. Blüht uns doch die schönste Zukunft. Hoffentlich sagt mir der nächste Brief, daß ihr Anfang August bestimmt herkommt.

Dein E.

a korr. aus: Gehehrten; b gestr.: Mon Dienstag; c gestr.: als; d gestr.: auf; e gest.: ti; f gestr.: Tafeln; g irrtüml. doppelt: da.; h korr. aus: freuhe; i gestr.: wären; j gestr.: schon; eingef.: vor; k gestr.: noch; l korr. aus: eingetheilst; m irrtüml.: Dicht; n korr. aus: Dicht

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
15.06.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38303
ID
38303