Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bertha Sethe, Jena, 31. Dezember 1899

Zoologisches Institut

der Universität Jena

Jena, den 31.12.1899.

Liebe Tante Bertha!

Gestern Abend erhielten wir Deinen lieben Brief nebst der Büchersendung; herzlichsten Dank dafür. Zu dem neuen Jahre 1900 – welches nach Kaiser und Pabst-Beschluß das erste im XX., nach gewöhnlichem gesunden Verstand das letzte im XIX. Jahrhundert ist, – senden wir Jenenser Dir unsre herzlichsten Glückwünsche! Ich hatte daran gedacht, sie Dir mündlich abzustatten und von Leipzig einen kurzen Abstecher nach Berlin zu machen. Leider war aber die Zeit zu kurz und das Pensum hiesiger dringender Arbeit zu groß. ||

Unser Weihnachts-Besuch in Leipzig, der sehr riskirt war, ist gut ausgefallen. Das Befinden von Agnes, die fast den ganzen November im Bett zubringen mußte, hatte sich in den letzten Wochen so gebessert, daß wir die Fahrt zu unseren Kindern nach Leipzig (– wo sie seit fast 5 Jahren nicht gewesen war! –) wagen konnten. Wir fuhren Sonntag (24.12.) Mittag hin und kamen Mittwoch (27.) Mittag zurück. Allerdings mußte Agnes sich gleich am folgenden Tage wieder zu Bett legen (mit Katarrh, Nerven etc.); aber es geht doch leidlich. Da Walter und Emma auch mit waren, war die ganze Familie vollzählig. ||

Das Weihnachtsfest bei Meyers war sehr hübsch: eine glückliche junge Familie, der es an Nichts fehlt. Lisbeth in alter unverwüstlicher Frische und Munterkeit, die kleine Else (jetzt 5¼ Jahr) ganz reizend, die kleinste Gertrud (– die heute ihren ersten Geburtstag feiert –) allerliebst. Der prächtige Lichterbaum machte großen Eindruck. Hans, der im Allgemeinen sehr ernst und gehalten ist, weiß sein Familien-Glück ganz zu würdigen und geht an solchen Tagen aus sich heraus. Meine Frau (die die Kleinste noch gar nicht gesehen hatte) war sehr erfreut. Wir hatten einmal (– ausnahmsweise! –) drei recht fröhliche und sonnige Tage, wozu Walter’s Humor viel beitrug. ||

Ich hatte in den letzten drei Monaten viel ungewohnte Arbeit, mit Beantworten von mehr als 300 Briefen über die „Welträthsel“ – (von denen jetzt über 6000 verkauft sind! –) und die lieben „Kunstformen der Natur“ (von denen Du im Februar das IV. Heft erhältst). Beide Werke sind die dankbarsten und erfolgreichsten (– wenn auch nicht die besten! –) die ich in meinem langen Arbeitsleben producirt habe.

– Bitte schicke diesen Brief an Heinrich, liebste Tante Bertha. Nimm nochmals die herzlichsten Grüße und besten Wünsche für 1900 entgegen von Deinem

treuen alten Neffen

Ernst Haeckel

und Familie.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
31.12.1899
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 38243
ID
38243