Jena 4. 11. 99.
Liebe Tante Bertha!
Dein lieber gestern erhaltener Brief bringt mich dazu, Dir endlich die Zeilen zu senden, die schon 8 Tage unterwegs sind. –
Ich kehrte am 25. 0. von meiner 11wöchentlichen Ferien-Reise wohlbehalten zurück und traf hier Frau und Tochter in leidlichem Wohlsein an. Leider erkrankte meine arme Frau schon 2 Tage später an heftigem Lungen Catarrh und liegt seitdem zu Bett; doch hofft sie morgen etwas aufstehen zu können. Diese ewigen Rückfälle machen sie natürlich sehr muthlos. ||
Meine Reise, von schönem Herbstwetter begünstigt, verlief im Ganzen recht glücklich und hat mich sehr erfrischt.
Der kleine Unfall im Sabiner Gebirge (Sturz mit dem Maulthier in einem Engpaß) nöthigte mich in Rom 8 Tage im Deutschen Hospital zu liegen; die Folgen sind jetzt ganz vorbei. Auf dem Rückwege blieb ich noch 3 Tage in München, weil Prof. Franz von Lenbach mein Porträt malen wollte (für seine Gallerie von Zeitgenossen). ||
Das Bild ist sehr gelungen (Kniestück, stehend, Lebensgröße); er will mir eine Kopie schenken.
– Hier fand ich sehr viel zu thun, über 200 Briefe etc. Die Vorlesungen (die ich am 30.10. angefangen habe), sind gut besucht.
Meine „Welträthsel“ werden Dich hoffentlich nicht allzu sehr entsetzt haben, da du meine pantheistischen Überzeugungen (– mit Goethe und Spinoza übereinstimmend –) ja seit Langem kennst und von ihrer Ehrlichkeit überzeugt bist. ||
Das Buch scheint mehr Interesse zu erregen, als alle meine früheren Schriften (– freilich mehr „Entsetzen“, als „Entzücken“! –).
Die I. Aufl. (von 3000 Exemplaren) ist innerhalb eines Monats verkauft worden; die II. erscheint jetzt unverändert.
Mit herzlichen Grüßen – und mit besten Wünschen für den herannahenden Winter –
Dein alter treuer Neffe
Ernst Haeckel.