Ernst Haeckel an Bertha Sethe, Neapel, 3. September 1859
Neapel. 3.9.59.
Liebe Tante Bertha!
Da ich Anna gern auf jedenfall zu ihrem Geburtstag am 14. ein paar Zeilen zukommen lassen möchte, und nicht weiß, ob der direct an sie abgesandte Brief sie noch in Bonn treffen wird, so bitte ich Dich, ihr die einliegenden Gedichte von Allmers etc von Berlin aus zu schicken, womöglich so, daß sie sie am 14. früh erhält. Den einliegenden kleinen Brief an Prof. Carus bist Du wohl so gut, in ein Franco-Couvert (auf Mutters Kosten) zu stecken, und unter derselben Adresse nach Leipzig zu schicken. Sage aber Anna Nichts davon, da ich sie mit dem gedruckten Aufsatz überraschen möchte. Über meinen köstlichen Monat auf Capri wirst Du durch die Briefe an Anna gehört haben. Nun gehts nach Sicilien! – Mit großer Freude höre ich durch Anna, daß es Dir fortdauernd sehr gut geht. Das ist ja prächtig. Halt Dich nur so wacker und munter. Die Zeit treibt zum eiligen Schluß. Daher nur noch einen herzlichsten Gruß an alle Lieben.
In alter Liebe Dein treuer Neffe E.H. ||
[Beilage]
24. 8. 1859.
Beim Scheiden von Capri
Wir reichen noch einmal einander die Händ’
Nun sind sie vorüber, nun sind sie zu End’
Die seligen Tage von Capri.
Die Stunde sie schlägt, wir müssen fort,
Nicht einer darf bleiben am lieben Ort
Doch wo wir auch seien, ob hier oder dort,
Wir segnen die Tage von Capri.
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Hoch oben der Himmel blaugoldig und hehr
Rings um das unendliche blaue Meer
So ragst Du hoch herrliches Capri!
Deinen Fuß die ewige Brandung aufschnaubt
Deine Höhen sind von Ölbaum und Weinstock umlaubt
Es küssen die Wolken Dein Felsenhaupt
Du wildes, Du liebliches Capri!
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Wir denken der Klippen so zackig und kühn
Wir denken des Gartens so friedlich und grün
Mit der Palme der schönsten von Capri
Und den Häuschen, die kuppelbedeckt und von Stein
Und der Azurgrotte voll Zauberschein
Wir schwammen an Kopisch’ Geburtstag1) hinein
In das blaue Wunder von Capri.
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Wie meyenvertraut sind die Männer, wie braun,
Wie reizend die Mädchen, wie stattlich die Fraun,
Wie lieblich die Kinder von Capri!
Und wo sie uns fanden, und wo sie uns sahn
Da blickten sie freundlich und schalkhaft uns an
Und riefen: „Signore, datemi un Gran!“2)
Das ist die Parole von Capri!
1) Kopisch, der deutsche Maler und Dichter ist der Entdecker der blauen Grotte, sein Geburtstag der 11 August.
2) Herr, gebt mir einen Gran! (4 Pfennige). ||
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Bald gings in die Klippen, bald gings in die Fluth
Es war uns so wonnig, es ging uns so gut
In den seligen Tagen von Capri.
Und die ganze Kultur hing an Nagel und Pflock
Nur in Hemd und Hosen, ohne Weste und Rock
Ging Allmers und Häckel, ging Köhler und Bock
In den seligen Tagen von Capri.
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Und ohne zu rasten ward eifrig uns schnell
In Blei und Öl und in Aquarell
Verewigt, was schön war auf Capri.
Und wenn wir gemalt und gewandert frisch
Wie mundete köstlich am gastlichen Tisch
Des Landes Frucht und des Meeres Fisch
Und der Wein aus der Rebe von Capri.
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O verleih das Geschick, daß ein Tag erscheint,
der einst uns im Norden froh wieder vereint
Wie wollen wir reden von Capri
Das Herz soll uns werden so wonnig und weit
Wir eilen zurück in vergangene Zeit a
Und preisen und segnen in Ewigkeit
Die seligen Tage von Capri.
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Neapel 3. 9. 59.
Dieses und die beifolgenden Sonette von Allmers schicke ich Dir indirect, liebster Schatz, da ich auf jeden Fall möchte, daß Du am 14. ein paar Zeilen von mir hast, und nicht weiß, ob der direct abgesandte Brief am 14. in Deine Hände gelangen wird.
Sei recht vergnügt und munter und nimm noch einen letzten Gruß und Kuß von Deinem treuen E. ||
4 Sonette von Hermann Allmers
Einsam auf stiller Bergeshöh zu liegen
Tief unten Wald und Strom und grüne Auen
Und über sich den Himmelsdom, de blauen
An den sich wieder blaue Berge schmiegen;
Und in Gedanken dann sich neigen und wiegen
Das Herz voll Liebe, Hoffnung und Vertrauen,
Und wundersame goldne Schlösser bauen
Dir mährchenschön aus tiefer Seele stiegen;
So hab ichs gern, und das ist Seligkeit
Da wird das Herz so rein, so still, so weit
Als wollte die ganze Welt in Lieb umfangen
Und all sein niedres Erdenleid vergeht
Vom reinen Hauch des Himmels ists durchweht
Im Licht des Himmels ist es aufgegangen.
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O zaubergrüne Waldeseinsamkeit
Wo alte dunkle Fichten stehn und träumen,
Wo über Kiesel klare Bächlein schäumen
In still geheimer Abgeschiedenheit.
Und Herdenglocken laut von Zeit zu Zeit
Und leises Rauschen obenin den Bäumen
Sonst Schweigen wie in heiligen Tempelräumen
O zaubergrüne Waldeseinsamkeit.
Hier fällt das irdische Daseins enge Schranke
Es fühlt das Herz sich göttlicher und reiner
Als könnte es tiefer schauen und verstehen;
Auch löst sich manch hochherrlicher Gedanke
Wahre das kommt, das ahnet selten Einer
Es ist des Weltengeistes nahes Wesen.
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Wenn ich nur weiß, daß Du bist mein geblieben
Dann will ich gern des Lebens Lust entsagen
Dann will ich gern des Lebens Leid ertragen
Liegt doch mein Glück allein in Deinem Lieben.
Mag Alles mich verlassen und zerstieben
Ja mag das Schicksal noch so herb mich schlagen
Ich werde nimmer zittern, nimmer zagen,
Wenn ich nur weiß, daß Du bist mein geblieben.
Die Pflanze, die der Sonne war entzogen
Verbleichet bald, verkümmert und vergehet,
Ob sie auch noch so lüstig grünend stehet;
So auch das Herz, die Lieb’ ist seine Sonne
So lang die leuchtet, blühet es in Wonne
Und muß verkümmern, wenns von ihr betrogen.
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Hast Du noch nie recht bitterlich geweint,
Daß glühnde Thränen Dir vom Aug gedrungen,
Noch nie mit einem großen Schmerz gerungen,
Noch nie unsäglich elend Dich gemeint?
Hat hohe Freude nie Dein Herz geschwellt
Durchbrausten nie Dich stolze Jubelklänge
Daß Du hast meintest, Deine Brust zerspränge
Und daß Du seist der seligste der Welt?
Wenn solche Schauer nimmer Dich durchbebt
Hast Du die Feuertaufe nicht bekommen
Des Daseins Strahlenhöhen nicht erklommen,
Und sage nie, Du habest schon gelebt!
a gestr.: und preisen