Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Karl Haeckel, Jena, 18. September 1896

Jena 18.9.1896.

Liebster Bruder!

Zu Deinem 72st Geburtstage senden ich und meine Frau Dir unsere herzlichsten Glückwünsche. Ich hätte sie Dir gern mündlich gebracht, fand aber vorgestern bei meiner Rückkehr eine solche Masse von dringender Arbeit, daß ich wohl für den Rest der Ferien nicht mehr fortkönnen werde. Ich bitte Dich, aus meiner Kasse 50 Mk zu nehmen und Dir dafür irgend eine Freude zu machen (Buch, Familien Excursion). Hoffentlich erlebst Du den Tag vergnügt mit Tante Bertha und einigen Deiner Kinder. Grüße sie alle bestens, auch Friedel, dessen Karte ich, wie die Deinige, erhalten habe. ||

Meine 4 wöchentliche Ferien-Reise (vom 18. August bis 16. September) hat mich recht erfrischt; zwar war das Wetter in Tyrol (wie überall) meistens schlecht; aber ich habe doch 10–12 gute aber leidliche Tage ausgenützt und 16 Aquarelle gemalt. Die Feier vom 70. Geburts Tag meines Freundes Gegenbaur in Gernsbach (ganz in Familie) war still, aber sehr gemüthlich. Über Schwarzwald-Bahna-Constanz ging ich direkt nach Bludenz, nach dem Lüner See hinauf (am 25. 8.) bei herrlichem Wetter, dann bei strömenden Regen in 6 Stunden (am 26.) hinab nach Schruns (in Montafon). Ich bin sehr froh, daß ich wieder so leidlich laufen kann! ||

Auch in Innsbruck hatte ich 3 schöne Tage, ebenso in Salzburg. Hier traf ich einen sehr interessanten Collegen, Professor Müllner aus Wien, früher katholischer Theologe, er ist durch meine „Natürliche Schöpfungsgeschichte“ convertirt und liest jetzt monistische Psychologie (!), warb auch einige Jahre Rector der Universität Wien. Seine Pflegetochter, Eugenie delle Grazie, ist eine sehr talentvolle Dichterin, berühmt durch ein 2 bändiges Epos „Robespierre“: (Geschichte der französischen Revolution in 30 Gesängen, großartig! 1895.) Ebenso interessant waren zuletzt 3 Tage Ambach am Starnberger See, wohin mich Professor Gabriel Max eingeladen hatte. Er hat auch mein Porträt (lebensgroß) in Öl gemalt, sehr gelungen! ||

In München besuchte ich beide Ausstellungen und traf Walter, der jetzt in Seefeld am Pilsensee malt und recht frisch ist. Auch der Nürnberger Ausstellung stattete ich am letzten Reisetage einen kurzen Besuch ab.

− Hier fand ich Agnes viel besser, wenn auch immer noch die Herzschwäche nicht ganz gehoben ist; sie geht seit einigen Wochen wieder aus, sogar 1 Stunde langsam spaziren. Auch mit Emma gehts leidlich. Bei Meyers ist alles wohl. –

Ich arbeite am Abschluß meines Buches, des letzten Theils der Systematischen Phylogenie, der noch im October erscheinen soll. Nachher muß ich Museum und Bibliothek in Ordnung bringen. Heinz ist nach Italien abgereist.

− Beste Wünsche und Grüße von

Deinem treuen Bruder

Ernst Hkl

a korr. aus: Schwarzbwald-Bahn; b gestr.: ist; eingef.: war

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.09.1896
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38168
ID
38168