Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Karl Haeckel, Baden-Baden, 18. September 1891

Baden-Baden 18. Sept 91

Liebes altes Bruderherz!

Zu Deinen kommenden 67.sten Geburtstage wünsche ich Dir von ganzem Herzen alles Gute! Vor Allem hoffe ich, daß Du in diesem neuen Lebensjahre den erwünschten Entschluß fassest und Dich in den wohlverdienten Ruhestand setzen läßest. Wenn man nur noch 3 Jahre bis zur ominoesen 70 hat, ist es Zeit dazu! Und besonders wenn der Mensch so lange wie Du, redlichst seine Pflicht gethan, und dabei so viel durchlebt hat, den Abend des Lebens in Ruhe zu genießen und frei von den Arbeitssorgen zu sein, mit denen er sich ein halbes Jahrhundert gequält hat. ||

Entschließe Dich also und komme bald um Deine Pensionirung ein; Du kannst es um so mehr, als es Dir ja an wissenschaftlichen und litterarischen Interessen für Ausfüllung Deiner Muße nicht fehlt; und als auch die Sorge für die Zukunft der Kinder Dir nun größtentheils abgenommen ist. Und solltest Du ja einmal Geld brauchen, so weißt Du ja, daß meine Vorraths-Kasse stets für Dich offen ist!

– Georg war vorigen Sonntag hier bei mir, auf der Rückkehr von Hannover. Ich fand ihn sehr frisch und munter, sehr zufrieden mit seinem Beruf; in 2 Jahren hofft er besoldeter Assessor zu sein. ||

– Meine Bad-Existenz hier in Baden-Baden ist sehr monoton. Ich habe ein leidliches Zimmer (mit Aussicht auf Hof und Schule, darüber der Garten am neuen Schloß) im Hôtel Friedrichsbad, einem stillen u. bescheidenen Gasthof der gleich hinter dem Friedrichsbad liegt, am Anfang der Gernsbacher Allee (N. von der Stadt). Es ist der stillste und bescheidenste Theil von Baden, insofern mir sehr angenehm. Gleich in’s Grün führt die nahe „Seufzer-Allee“; in ¼ Stunde die Curanstalt „Morgenröthe“. Früh 6 Uhr nehme ich mein „Wildbad“ (dazwischen alle 4–5 Tage ein großes Dampfbad) in dem ausgezeichnet eingerichtetem Friedrichsbad (ganz nahe). ||

Nach dem Frühstück lese und schreibe ich 5 Stunden auf dem Sopha. Nachmittags holt mich alle 3–4 Tage die gute Baronin Staël Holstein (die 74 jährige Schwester des Grafen Bose) zur Spazierfahrt ab. Die Table d’hôte Mittags und Abends ist ziemlich still und einfach; Unterhaltung mäßig: einige Professoren, Pastoren und Landrichter, meistens Süddeutsche. Mit dem Erfolg der Cur bin ich leidlich zufrieden. Bis Ende nächster Woche (25; a 26) bleibe ich jedenfalls hier. Von Agnes und Lisbeth, die noch in Thal sind, habe ich gute Nachricht.

Grüße Deine Lieben bestens und theile diese Zeilen auch Tante Bertha mit.

Dein treuer alter Bruder

Ernst.

a gestr.: )

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.09.1891
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38084
ID
38084