Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Karl Haeckel, Jena, 22. Oktober 1890

Jena 22. October 1890

Lieber Bruder!

Am Samstag Abend (18. Oct.) bin ich wohlbehalten wieder in meinem stillen Jena-Neste eingetroffen, nach 9 wöchentlicher Reisezeit (seit 17. August). Die letzten beiden Wochen, in den Niederlanden, waren sehr interessant und schön; ich schwelgte in Malerei, activ und passiv! Bei Louis Mulder verlebte ich 8 sehr hübsche Tage mit unserer lieben Tante Bertha; ich genoß die herrlichen Gallerien in Haag und Haarlem, besuchte Ateliers von berühmten Malern (Israels, Mesdag, Backhuisen, Roelofs) und malte selbst in Oel (2 niederländ. Stimmungs Landschaften). ||

Dann folgten 8 glänzende Festtage in Amsterdam (vom 12 – 15. Oct.) wo ich über die Maßen gefeiert wurde; ich wundere mich nur, daß ich alle die schweren Diners und Frühstücks (jedes mit 8 – 12 Gängen!!) glücklich überstanden habe, und ebenso die zahlreichen Festreden! Sonntag (12.) Extra-Fahrt nach dem Helder, Montag Festdiner bei Prof. Weber, Dienstag bei Prof. Ruge. Mittwoch (15.) war der Hauptfesttag; früh mußte ich ein großes Colleg (über den „Challenger“) vor den Studenten halten; Mittag (2 – 5 Uhr) Fest Actus mit 6 Festreden; Abends (6 – 12) Fest Essen mit cc. 20 Reden! ||

Ich war ungewöhnlich gut aufgelegt, so daß meine Festreden (ungefähr 1 Dutzend!) besser als gewöhnlich ausfielen, und mit großem Beifall aufgenommen wurden. Ich wohnte reizend bei meinem früheren Schüler, Prof. Ruge; auch 2 andere treue Schüler (Fürbringer aus Jena, und Engelmann aus Utrecht) wohnten aden Festlichkeiten bei. Donnerstag war noch Nachfeier in Utrecht, wo ich einen reizenden Tag bei Engelmanns zubrachte.

– Außer der goldenen Medaille erhielt ich noch 2 Diplome als Ehren Mitglied, von der Amsterdam. Ges. f. Naturkunde, u. von der Kgl. Ndl. Zool. Ges. (Natura artis magistra). Die Holländischen Collegen waren überaus herzlich u. nett. ||

T. Bertha wird Dir Näheres erzählen.

– Vielleicht kann ich zu Neujahr auf einige Tage zu Euch kommen, sonst jedenfalls zu Ostern. –

Daß Walter Dich nicht getroffen hat, thut mir sehr leid; ich kann mit dem Jungen Nichts mehr anfangen, und habe nun, da er schon 22 Jahr alt ist, beschlossen, ihn seinen eigenen Weg gehen zu lassen, wie er wünscht. Von den guten Rathschlägen, die ich ihm für seine Maler-Ausbildung gegeben, befolgt er keinen einzigen!

– Traurig, aber nicht zu ändern! –

Agnes u. den beiden Töchtern ist die Schweizer Reise sehr gut bekommen. Ich habe nun hier viel Arbeit!

Mit herzlichsten Grüßen

Dein tr. Ernst ||

J. 22/10 90

Lieber Bruder

Eben nach Schluß des Briefes treffen ein paar große Rechnungen ein (Bücher für mich, Kleider für die Familie) b, welche baldige Geldsendung wünschenswerth machen. Falls Du die 3000 Mk noch nicht angelegt hast, schicke mir sofort 2000 Mk; anderenfalls – womöglich bald – 1000 Mk; sonst lasse ich die Rechnungen einstweilen liegen. Zu Neujahr werde ich außerdem noch ein paar tausend Mk brauchen.

a gestr.: dabei; b gestr.: ein

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.10.1890
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 38057
ID
38057