Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Salzburg, 6. September 1862, mit Beischrift von Anna Haeckel, geb. Sethe

Salzburg 6. 9. 62.

Liebste Eltern!

Ihr werdet gewiß schon lange wieder auf Nachricht von uns gewartet haben. Aber trotz der besten Vorsätze zum Schreiben sind wir doch bis jetzt noch nicht so zur Ruhe gekommen daß wir hätten schreiben können. Ein schöner Naturgenuß, und eine herrliche Reisefreude jagte die andere, so daß wir nicht einmal dazu kommen konnten, unser Tagebuch in der beabsichtigten ausführlichen Weise zu führen. Die ganze Zeit hindurch ist es uns außerordentlich gut gegangen und wir haben wirklich wieder täglich in jeder Beziehung unverschämtes Glück gehabt. Unsern letzten Brief erhieltet ihr aus München, wo wir nur noch einen Tag blieben, da das Wetter wieder sehr schön wurde und uns ins Gebirge lockte. Den 27. August fuhren wir daher mit der Eisenbahn von München nach Salzburg (was pro persona nur 1 rl 20 Sgr kostet) und machten von da eine herrliche überaus gelungene Rundreise durch das Salzkammergut, von der wir vorgestern hierher zurückkehrten. Das Wetter war reizend und die ganze Rundreise so überaus schön und glücklich, als wir nur wünschen konnten. Das beifolgende Tagebuch sagt das Nähere. Eure beiden lieben Briefe haben wir richtig erhalten und sagen dafür schönsten Dank; den ersten bekamen wir erst vor 2 Tagen in Ischl, den letzten, von München nachgeschickten, vorgestern hier. ||

Anna sowohl als ich haben uns sehr über eure ausführlichen Briefe gefreut und sagen euch schönsten Dank. Das Ausführliche von unserer Reise sollt ihr später hören. Jetzt können wir euch nur eine ganz flüchtige Skizze schicken. Mit unserer Gesundheit steht es ganz vortrefflich. Anna ist ebenso munter, rüstig und glückselig als ich selbst. Anna klettert ganz vortrefflich, besser, als ich je erwartet habe. Wir haben durchschnittlich täglich 8-10 Stunden geklettert und marschirt und es ist uns beiden vortrefflich bekommen. Hier in Salzburg haben wir wieder rechtes Glück gehabt. Wir wohnen ganz allein in einem reizenden Gartenhaus bei der trefflichen alten Wirtin, bei der ich auch früher gewohnt habe und die uns wie eine Mutter pflegt, im Schwan. Dazu kamen wir vorgesterna, als wir von Ischl zurückkehrten, ganz unvermuthet in das siebente große Deutsche Künstler- Fest hinein, das in diesen Tagen Hier abgehalten wird. Gestern war der Hauptfesttag, der zu einem der schönsten und großartigsten Volksfeste Veranlassung gab, die ich jemals erlebt habe. Das ganze Fest wurde im Freien, auf dem Mönchsberg, in der herrlichsten Umgebung abgehalten und war wirklich reizend schön. ||

Morgen, Sonntag 7. September wollen wir früh Salzburg verlassen und, wenn es schön ist, nach Reichenhall, Berchtesgaden und Traunstein gehen, wenn es schlecht ist, nach München zurück. Jedenfalls denken wir etwa den 10 oder 11 nach Tyrol zu gehen in das Ziller und Duxer Thal, nach Kriml, Zams, Sterzing, und von da nach Meran, wo wir am 13 einzutreffen und am 14 Annas Geburtstag zu feiern gedenken. Dort erwarten wir dann sicher Briefe von euch (Meran in Tyrol, poste restante). Sollte etwas sehr Eiliges zu bestellen sein, so meldet dies nach Brixlegg bei Innsbruck (poste restante) wo wir etwa am 10 b einzutreffen gedenken. Die letzten 8 Tage des September werden wir für München und die Rückreise benutzen.

Die Glaskisten- Rechnung, liebe Mutter, kommt größtentheils auf Rechnung des Jenenser Museums und werde ich Dir zurückerstatten. Die Kiste mit den Gartenbau- Vereins- Verhandlungen und mitc den Knochen und Büchern kannst Du noch in Berlin lassen, dagegen den Kasten mit Pastell- Farben noch d nach Jena mitschicken. Grüßt Lamperts und Schuberts recht herzlich und bleibt recht munter. Euer treuer glückseliger Ernst. ||

e Hebt die Briefe ordentlich auf, liebe Eltern, zur Vervollständigung des Tagebuchs.

[Beischrift von Anna Haeckel, geb. Sethe:]

Ernst wird wahrscheinlich schon über unsere schöne Reise unterrichtet berichtet haben, liebe Eltern, und ich kann Euch nur bestätigen, wie glückselig und frisch wir uns in der schönen Gottes- Welt fühlen, die wirklich bedeutend vor dem Norden bevorzugt ist. Ich freue mich sehr, Euch Berlin fern zu wissen in Deiner Heimath, lieber Vater. Grüßt Schuberts und Lamperts recht herzlich und sagt Letzteren besonderen Dank für die schönen Glassachen, die unsere Zimmer sehr schmücken werden. Ich komme unmöglich heute dazu, ihnen selbst zu schreiben. Die Zeit verstreicht auf der Reise noch einmal so schnell, als zu Haus und zum Schreiben läßt sie sich sehr suchen. Was schauen wir aber auch täglich und nehmen wir in unsern dankbaren Herzen auf! Ich kann kaum die Fülle von herrlichen Eindrücken beschreiben, die wie Ernst täglich sagt, erst ihren rechten Werth in der Erinnerungf erhalten. Eure Briefe, sowie Mutters waren eine große, große Freude, nachdem wir so lange Nichtsg von den Unsrigen gehört hatten. Grüßt Alle, denen Ihr schreibt und sagt ihnen, wie gut es uns beiden glückseligen Menschen geht. Ich sage Dir, liebe Mutter, Ernst ist ein Mustermann und pflegt mich so lieb und aufmerksam wie es nur eine Frau wünschen kann. Laßt es Euch gut gehen und Euch herzlich grüßen von Eurer

Anna Haeckel.

a korr. aus: gestern; b gestr.: oder; c Ausriss; d gestr.: zurück; e weiter am Rand v. S. 3; f eingef.: in der Erinnerung; g Ausriss;

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
06.09.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 37773
ID
37773