Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Jena, 18. Mai 1861

Jena 18. 5. 61.

Ein fröhliches, munteres Pfingstfest, euch, liebe Alten und euch, liebe Freienwalder, die ihr nun wohl schon seit ein paar Tagen in Berlin eingerückt seid. Vermuthlich sitzt ihr jetzt (morgens 6 Uhr nämlich) recht vergnügt beim warmen Kaffee in dem behaglichen, geheizten Zimmer, um welches ich euch beneide, nämlich um beides, um den Kaffee und um die Wärme. Ich friere hier ziemlich elend u. meine Hände werden beim Schreiben ganz steif. Sei 5 Tagen hat sich keine Sonne blicken lassen, und es wird immer kälter. Man könnte eher denken, in der Weihnachts- als in der fröhlichen Pfingsten Zeit sich zu befinden. Wie gerne flög ich herüber und plauderte ein paar Stündchen mit euch. Netter wärs freilich noch, könnte ich euch meine allerliebste Einrichtung in dem reizenden Quartiere zeigen was euch gewiß über die Maßen gefallen wird. Nächsten Sommer müßt ihr jedenfalls alle herkommen, es ist wirklich ganz reizend hier. Die Alten sollten eigentlich Jena zum Sommeraufenthalt wählen; Vater wird es gewiß sehr behagen, sowohl die prächtige Natur mit den schönen Bergen, als der zahlreiche interessante Umgang, den er hier unter den Professoren haben kann. So meinte auch Krukenberg, der mich vorgestern besuchte. Er ist auf 14 Tage zu Besuch bei seinem Schwiegervater, dem alten Prof. Kieser. Mit ihm sind seine Frau u. 3 Kinderchen, 2 Mädchen u. 1 Junge, die recht nett sind. || Krukenberg sieht sehr wohl aus u. gefällt sich in Kalbe ganz leidlich. Er läßt euch alle grüßen, und Karl bitten, ihn doch einmal auf der Durchreise nach Thüringen zu besuchen. Er ist noch unverändert der Alte. –

Meine Hoffnungen für den Herbst habe ich ganz aufgegeben, u. auch an Anna geschrieben, daß sie sich darüber keine Illusionen mache. Ehe nicht das Radiolarienwerk erschienen ist, was kaum vor dem Herbst möglich ist, ist an eine Berufung nicht zu denken. Der einzig mögliche Fall wäre, daß ich von Hamburg, wo jetzt die Trennung der beiden Professuren vona der Bürgerschaft beschlossen, die Stellen aber noch nicht besetzt sind, einen Ruf für Zoologie bekäme. Das ist indeß sehr unwahrscheinlich. Bekäme ich diesen, oder einen andern derartigen, so wäre mir hierauf hin die hiesige Professur sicher. So aber ist vorläufig Alles in dubio. Ich würde ganz gerne für immer hier bleiben, da in der That die Hauptsumme der hiesigen Verhältnisse meinen Neigungen so entspricht, wie es kaum bei einer andern der Fall sein dürfte. Wer weiß, wie Alles noch kommt!

Bei der akademischen Carriere liegt jab immer die Zukunft in so dickem blauen Nebel, daß Niemand ahnen kann, wohin er schließlich verschlagen wird. Herzliche Grüße an die Verwandten und Freunde! Seid zu Pfingsten recht vergnügt u. denkt zuweilen an Euern Ernst.

a gestr.: b; b korr. aus: aber;

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Datierung
18.05.1861
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 37753
ID
37753