Haeckel, Ernst

Ernst Haeckerl an Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Wien, 7. Juli 1857

Wien 7/7 57.

Liebe Eltern!

Ich kann euch heut nur ganz kurz schreiben, weil ich möchte, daß der Brief heut noch abgeht und Ihr ihn rechtzeitig bekommt. Auch habe ich euch heut nicht viel zu schreiben, möchte aber gern, daß ihr dies wenige recht nachdrücklich bedenkt. Mir geht nämlich schon sehr lange, eigentlich seitdem ihr mir zuerst von unserer Herbstreise schriebt, der Gedanke im Kopfe herum, ob a es sich nicht machen ließe, daß auch ihr, liebste Eltern, wenigstens einen Theil alle der Naturherrlichkeiten seht und genießt, durch deren Genuß ihr uns beide Jungens erfreuen wollt. Doch wollte mir anfangs kein Plan recht einfallen und ich selbst hoffte damals früher von hier wegzukommen, noch ehe ihr abreisen könntet. Nun sich aber dies geändert hat und ich bis Anfang August hier bleiben muß, besonders auch die Mulders beide kommen, und ich durch deren Umgang ohnehin nicht viel Arbeitszeit übrig behalten werde, ginge es wirklich recht schön, daß ihr von Schlesien aus einen Abstecher über Prag hierher machtet, euch Wien etwas anseht, und dann wenigstens noch den Semmering und einen Theil von dem Salzkammergut. Es ist da überall so bequem zu reisen, Dampfschiff und Wagen, daß auch Du, liebstes Mutterchen, ganz prächtig fortzuschaffen wärest. Aber selbst wenn Du nicht mitkämst, (was doch sehr schön wäre, nur fürchte ich sehr Deine Immobilität, und reiselustig bist Du ja auch nicht sehr!) könntest doch vielleicht wenigstens Du, liebster Vater, allein einen kleinen Abstecher nach Wien machen. || Du kennst ja Wien noch nicht; es würde Dich gewiß sehr interessiren und Du hast jetzt die beste Gelegenheit, da Du von Schlesien aus sehr rasch und bequem herkommst. In Breslau hast du ja schon die Hälfte des Wegs von Berlin nach Wien. Auch die Kosten sind sehr gering, wenn du III. Klasse reist (wie es jetzt bei der Hitze am besten ist) und namentlich wenn Du noch recht wenig Gepäck mitnimmst (da man hier kein Freigewicht hat). In 12–16 Stunden bist Du von Breslau aus bequem hier. Am besten wäre es natürlich, wenn Du dann möglichst bald kämest, damit b ich Dir noch recht viel von Wien zeigen könnte. Etwa zwischen dem 27sten und 29sten Juli könntest Du dann mit Mulders eine Parthie über den Semmering machen und am 30 oder 31sten Juli könnten wir zusammen per Dampfschiff nach Linz fahren. Hier könnte ich euch ein paar Tage in Aussee und Hallstadt herumführen und am 4ten August würden wir mit Karl in Ischl zusammentreffen und von da nach Salzburg und Berchtesgaden gehen. Von hier kannst Du sehr bequem nach Linz und Wien zurück. Je nachdem Du 14–18 Tage oder ein paar mehr oder weniger daran wendest, würde sich es so vertheilen: 1. Breslau Wien. 2–5. Wien. 6–7 Semmering. Höllenthal. 8. Linz. 9–11. Ischl. Hallstatt 12–14. Salzburg Berchtesgaden. 15. Linz. 16. Wien 17. Breslau. – Du kannst aber auch in 8 Tagen schon viel schönes sehen: 1. Breslau Wien. 2–4. Wien. 5–6 Semmering. Baden. 7. Breslau. – Kurz, Pläne werden schon genug da sein und ich bürge Dir dafür, daß Du c Interessantes und Schönes genug in der kurzen Zeit sehen wirst. ||

Was die Tour besonders empfiehlt, ist, daß sie sich so sehr bequem und billig ausführen läßt! Im Salzkammergut reist man so per Dampfschiff über die Seeen und per Stellwagen auf den Poststraßen sehr bequem und billig. Hier in Wien würde der Aufenthalt euch nicht viel kosten, da Du in meinem Bette schlafen kannst, und ich noch Raum genug für eine Streu in der Bude habe. Die neuen Östereichischen Eisenbahnen, Wien und Umgebungen, die Semmeringbahn, das Höllenthal, die Donau, Linz, Ischl, Salzburg – dies Alles würde Dich gewiß im höchsten Grad interessiren. Und wenn Du die liebe Alte auch noch mitbringst, ist es natürlich doppelt schön. Jedenfalls wird ihr die herrliche Gebirgsluft der Alpen besser sein, als der Schwefelgestank in Warmbrunn. Kurz es wäre herrlich, wenn d die ganze Haeckelei hier in Wien zusammenträfe. Einen Paß kannst Du ja gewiß noch rasch in Berlin besorgen. Hinsichtlich des Geldes thut ihr vielleicht besser, fl. Scheine in Berlin zu kaufen, da man hier jetzt nur 1fl. 31 xr für 1 preußischen Thaler-Schein bekommt. Dies letztere vergeßt nicht, auch Karl mitzutheilen. Es sollte mich wirklich ungeheuer freuen, wenn ich euch hier all die Herrlichkeiten zeigen könnte. Das wär prächtig. Du, liebster Vater, könntest am Ende gar einen kleinen Abstecher nach Triest herunter machen, da jetzt die letzte Strecke der Eisenbahn, zwischen Triest und Laibach, eröffnet wird. Sie ist höchst merkwürdig, da sie schwimmt! – nämlich über lange Strecken Holzbohlen geht, die auf den ungeheuren Sümpfen und Mooren beweglich aufliegen!! ||

Mir selbst wird hier der Aufenthalt in Wien jetzt höchst ungemüthlich, da meine Bekannten alle in diesen Tagen fortgehen. Vorgestern war Abschiedsfest des vierblättrigen botanischen, nordischen Kleeblatts; die 3 Freunde, an denen ich wirklich vortrefflichen Gefallen den ganzen Sommer gehabt habe, sind in die Alpen, und ich muß noch 14 Tage in der Hitze hier aushalten! Die ersten 8 Tage werde ich noch tüchtig arbeiten; die letzten 8 Tage, wenn Mulders erst da sind, wirds nicht viel werden. Meine flüchtigen Gedanken stecken natürlich größtentheils schon in den Alpen, zum Theil aber auch in dem schrecklichen Staatsexamen, das mir schon, wie ein Gespenst, Tag und Nacht vorschwebt, und zum großen Theil die Reisefreude verleidet. Rationeller und vernünftiger wäre es freilich, ich ginge jetzt nach Haus und präparirte mich für Chirurgie, Medicin und Geburtshilfe. Wenn nicht Karl sich so sehr auf die Reise freute, thäte ich dies sicher. Euren letzten, lieben Brief, worin ihr mir von Mutters Geburtstag und eurer Reise nach Potsdam schreibt, habe ich richtig erhalten. Wohin schicke ich denn meinen nächsten? Nur um eins bitte ich Dich, liebste Mutter, laß die ganz unnöthige Angst wegen etwaigen Reisegefahren. Bei dieser Reise ist wirklich nicht daran zu denken, da ich, schon um Karls, des Familienvaters, willen, von vornherein alle kühnen und wilden Pläne und Hoffnungen aufgegeben habe. Es wird eine höchst zahme und gesittete Fußtour werden. Auch werde ich gewiß dafür sorgen, daß Karl sich nicht zu sehr anstrengt. Ich will ihm sogar sein Gepäck stellenweis mit tragen. Übrigens ist der ganze Plan schon so angelegt, daß von Gefahr nicht die Rede ist.

Tante Bertha und die Weiß herzliche Grüße. – Überlegt euch ja meinen Vorschlag und antwortet bald eurem Ernst.

N. B. Habt ihr denn von Wuerzburg (durch Beckmann) meinen Brief von 3½ Bogen erhalten?e

a gestr.: ihr; b gestr.: Du; c gestr.: das; d gestr.: ihr; e Text auf dem linken Rand: N. B. Habt ihr … 3½ Bogen erhalten?

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
07.07.1857
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 37740
ID
37740