Haeckel, Ernst

Berlin 19 April 72

Mein allerliebstes Röschen!

Als Dein obligater Tyrann – oder Sclave! – will ich nicht verfehlen, Deinen gestern eingetroffenen Brief sogleich pflichtschuldigst zu beantworten. Über die guten Nachrichten von Dir und Deinen beiden kleinen munteren Ablegern habe ich mich sehr gefreut! Hoffentlich lautet der nächste Brief eben so gut; sende denselben nach Potsdam, Schockstr. 30/31 parterre. ||

Ich laufe seit 2 Tagen in dem grauenhaften Berlin von Morgens bis Abends herum. Es ist doch ein schreckliches Loch! Ich danke meinem Schicksal daß es mich nicht hierher geworfen hat und freue mich schon wieder sehr auf die stille Klause im kleinen Jena und die stolze Tyrannin deren Sclavenjoch ich tragen muß. Nein, ist das hier ein eigenthümliches Leben, oder vielmehr Treibjagen! ||

Tante Bertha, die jungen Sethes etc, Alles sucht nach Wohnungen und findet keine.

Unter 500 rl gibt es keine!

Kleine miserable Wohnungen, kleiner, als unsere in Jena, kosten 600-800 rl!

Gestern war ich sogar mit Tante Bertha per Anhalter Bahn in der Station Lichterfelde, um dort eventuell eine Villa zu kaufen! Es war aber auch Nichts!

Sind das hier Zustände! ||

Gestern Abend war ich mit Sethes und Toblers bei Ernst R. Alle sind

wohl und grüßen herzlich. Morgen gehe ich nach Potsdam zurück, wo ich Montags einen Brief von Dir zu treffen hoffte.

Von dort schreibe ich Dir mehr, mit einer besseren Feder als ich hier kriegen konnte.

Herzlichste Grüße

Dein tr. E.

Mit dem Herzen geht es hier ganz gut wieder!

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
19.04.1872
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 37587
ID
37587