Haeckel, Ernst

Lesina 4 April 71

Liebste Agnes!

Dein heute eingetroffener lieber Brief vom 25 März (welcher 10 Tage hierher gebraucht hat!) hat mich recht in Sorge versetzt und betrübt durch die Nachricht, daß unsere Kleine Lisbeth wieder so krank war und auch Du wieder dadurch zurückgekommen bist. Es ist mir sehr, sehr leid, daß Du arme liebe Frau so viel Noth hast, und daß ich Dir nicht helfen kann.

Nun ich hoffe, daß es doch endlich ordentlich besser wird und ich Dich bei meiner Rückkehr wieder ganz gesund finde. Ein Trost ist es mir doch, daß Du in den letzten Tagen, als Du schriebst, wieder besser warst und bereits ausgefahren bist. Ich denke, die frische schöne Frühlingsluft wird Dir recht gut thun und Dich ordentlich kräftigen. ||

Große Freude hast Du mir durch die reizende Photographie von unserem süßen Walter bereitet. Ich denke der liebe Junge wird Dir doch ein rechter Trost sein und Dich recht aufheitern. Ich bin sehr neugierig, wie ich ihn wieder finden werde und ob er den Papa noch lieb haben wird?

Ich freue mich auf die Rückkehr außerordentlich und werde mich in unserem kleinen lieben Neste wieder recht wohl fühlen. Der hiesige Aufenthalt im Franziscaner- Kloster ist nicht dazu angethan uns den Abschied schwer zu machen, und wir sind alle drei recht froh, mit dem nächsten Dampfer Lesina verlassen zu können und wieder in mehr civilisirte und europäische Zustände zurückzukehren. ||

Wahrscheinlich werden wir, da unsere Arbeiten im Wesentlichen beendet sind, nicht wie beabsichtigt, am Ostermontag, sondern schon 2 Tage früher, am nächsten Samstag (8. April) von hier abreisen mit dem kleinen Dampfer, der nach Ragusa geht. Dort wollen wir einige Tage bleiben um doch auch Etwas wenigstens vom dalmatischen Festlande und seiner Seethier- Welt kennen zu lernen.

Die Küste von Ragusa und dem nahen Gravosa und Lacroma soll sehr reich an schönen und seltenen Seethieren sein und ich hoffe, dort auch noch einige interessante Schwämme zu finden. Von Ragusa gehen wir dann nach Triest, von wo ich den directesten und kürzesten Weg (über Venedig, Verona, Innsbruck, München) nach Jena zurückkehren werde. ||

Deinen nächsten Brief schicke nach Triest, poste restante. Die Briefe von Jena nach Triest gehen nur 2-3 Tage; also doch bedeutend kürzer, als hierher nach unserem einsamen Eiland, wo die Briefe mindestens 8-10 Tage brauchen. Ein Glück ist es noch, daß wenigstens ein Telegraph von Triest nach Lesina geht.

Wahrscheinlich werden wir auf der Rückreise von Ragusa nach Triest noch auf 1 Stunde (voraussichtlich am 15. April) Lesina berühren und unsere Kisten (die inzwischen hier im Kloster bleiben) an Bord nehmen. Wir sind alle drei gesund. Die schmale Kost bekommt uns im Verein mit der herrlichen Seeluft recht gut. Nur haben wir viel unbefriedigten Appetit.

Herzlichste Grüße an alle unsere Lieben.

Es umarmt und küßt Dich in Gedanken,

Dein treuer Ernst.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
04.04.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 37562
ID
37562