Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Würzburg, 10. Dezember [1853]

Würzburg Sonnabend 10/12 Abends

Herzliebe Mutter!

Die herzlichen Glückwünsche, welche ich gleich nach Empfang von der freudigen längstersehnten Nachricht von der Geburt meines Neffen (die ich in Folge der hiesigen Postbummelei erst heute Abend erhielt) an mein liebes Ehepaärchen niederschrieb, kann ich unmöglich abgehen lassen, ohne auch Dich in Deiner neuen schönen Würde als „Großmutter“ zu begrüßen. Die ganze Titulatur in der Häckelei ändert sich nun mit einem Mal. Ich selbst komme mir a als Onkel nun plötzlich so alt und verständig vor, daß ich wirklich den guten Vorsatz zu fassen im Stande wäre, mich von diesem Tage an wirklich als Mann zu betragen. Aber welcher Tag ist es denn eigentlich, der mich zu dieser Würde erhoben hat? Ihr habt b in eurem ersten Entzücken mir nicht einmal die allernothwendigsten Data von dem wichtigen Ereigniß mitgetheilt. So steht z. B. weder auf Karls, noch auf Deinem Brief irgend ein Datum, da noch dazu die Postzeichen auf dem Couvert ganz unleserlich sind, so weiß ich jetzt nicht, ob das liebe kleine Wesen am 5, 6, 7, 8, oder 9 in diese Welt eingetreten ist. Schreibe mir doch bald etwas Näheres, hoffentlich geht es Mutter und Kind fortdauernd gut! Das helfe Gott! Nun strapsire Du Dich nur nicht gar zu sehr ab, liebste Mamma, sondern bedenke, daß wir Dich auch gerne mit den 3, nunmehr 4 andern Haeckels ganz gesund wissen wollen! ||Meinen letzten Brief, liebe Mutter, welchen ich am Montag früh hier abschickte, wirst du wohl grade am Mittwoch erhalten haben, nachdem Du die Entbindungsanzeige abgesendet hattest. In meinem status quo hat sich seitdem, wie zu erwarten, noch nichts geändert, wozu auch keine Aussicht vorhanden ist. Allerdings läßt einem dieses Collegienlaufen den ganzen Tag über auch nicht die geringste freie Zeit zur eignen Verfügung; auf der andern Seite ist es aber auch sehr wohlthuend, indem es die beständige c gährende Hypochondrie und Melancholie gar nicht zum Ausbruch kommen läßt und ganz zurückdrängt. 1 Tag verstreicht wie der andere, aber so rasch wie weggeblasen. Noch nie ist mir die Zeit so riesig rasch vergangen; was mir sehr angenehm ist, da ich doch sehr gern einmal wieder bei euch sein möchte. d So bemerkte ich z. B. heute, daß ich bereits 1½ Monate aus Ziegenrück weg bin, und doch kömmt es mir kaum wie 1½ Wochen vor. Der Sonntag ist immer da, ehe ich noch daran denke und so alles. –

In Berlin bestellen die herzlichsten Grüße, namentlich an meinen lieben Papa, dem seine neue Großvaterwürde auch sehr wohlthuend vorkommen muß, Tante Bertha etc. Vater bitte ich auch Wilde herzlich von mir zu grüßen, sowie andere von meinen Bekannten, welche er vielleicht sieht. Sobald ich Zeit und Stoff habe, werde ich auch an ihn wieder einmal schreiben.

Nochmals 1000 herzliche Grüße und Küsse an das ganze liebe Ziegenrücker Kleeblatt, nun 4blättriges! –

Von Deinem alten treuen Ernst.e

Meine ungeheure Freude hat sich sogar meinem lieben Laubfröschchen mitgetheilt, der während ich dies schreibe, zum ersten Mal seit langer Zeit wieder zu quaken und zu singen angefangen hat.f

a gestr.: als; b gestr.: ich; c gestr.: k; d gestr.: D; e Textverlust durch Randbeschädigung; f Nachsatz am linken Rand von S. 1: Meine ungeheure Freude … angefangen hat.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
10.12.1853
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 37484
ID
37484