Ernst Haeckel an Heinrich Schmidt, Jena, 1. Juli 1916
Herrn Doctor Philosophiae Heinrich Schmidt, Jena,
Archivar des Phyletischen Archivs in der Universitätsbibliothek zu Jena.
Jena, Villa Medusa, 1. Juli 1916.
Lieber Herr Doctor!
Der 21. Juni 1916, der "Sommersanfang" und der längste Tag dieses Jahres, wird für Sie wie für mich stets ein hoffnungsvoller Gedenktag bleiben. Denn an diesem Tage vollendeten wir in zehnstündiger gemeinsamer Arbeit den materiellen "Exodus" des wertvollen Phyletischen Archivs, die Übersiedlung seiner Bibliothek und Literalien aus den beiden Archivräumen des Phyletischen Museums am Neutor in die beiden von der Regierung uns zur Verfügung gestellten Parterreräume der Universitätsbibliothek. Die reichen und originellen, in ihrer Art einzigen Schätze dieses Archivs, die ich in sechzigjähriger Arbeit für die monistische Entwicklungslehre gesammelt habe, stehen nunmehr Ihnen, als dem ersten Archivar und Bibliothekar des Phyletischen Archivs, zur Verfügung, Ordnung und Verwertung.
Gestützt auf unsere vieljährige, genaue Bekanntschaft und in vollem Vertrauen auf Ihren bewährten Fleiß und Ihre vielseitige Bildung, darf ich hoffen, daß Sie das wichtige, nunmehr offiziell von Ihnen angetretene Amt gewissenhaft ausfüllen werden. Insbesondere hoffe und wünsche ich, daß Sie die große, seit mehreren Jahren begonnene Arbeit über "Geschichte der Entwicklungslehre" erfolgreich vollenden und unsere leitenden, bisher noch niemals genügend gewürdigten Grundgedanken der natürlichen Universalentwicklung in folgerichtig monistischem Sinne zur gebührenden Geltung bringen werden. In dieser Zuversicht bleibe ich mit besten Segenswünschen und mit herzlichen Grüßen
Ihr alter 82jähriger Lehrer Ernst Haeckel.