Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 5. Dezember 1852

Würzburg a 5/12 52

Lieber Vater!

Vor allem muß ich Dir ein Kapitel lesen, daß Du Dichb wieder so über die Politika geärgert hast. Das ist, mein liebes Alterchen, fast ebenso schlimm, als wenn ich mich so unnütz und vergeblich um meine Zukunft gräme. Gott wird auch ohne unsre Sorge die Angelegenheiten des Einzelnen sowohl als des Staats, gut zu Ende führen. Je bunter es jetzt hergeht, desto eher muß es ja besser c werden, und die Krisis eintreten. Freilich kann ich mir recht gut denken, wie Dir die Kammern mit ihrem dummen Zeuge in so unmittelbarer Nähe d viel zu schaffen machen; ich würde mich aber bei der ganzen Sache auf einen viel objectiveren Standpunkt stellen. Du schreibst mir, Du fühltest die Last des Alters, zugleich aber auch seine andern Eigenschaften indem es uns zu einer ruhigern, objectivern Betrachtung hinführe, und in derselben Zeile fährst Du mit der ganzen Gluth eines jugendlichen Patriotikers über die armen Kammern und den „juten“ König her! Denke doch, daß Dir Deine Frau und Deine Kinder viel näher stehen, und daß Du diesen Wehe thust, wenn Du durch Ärger Deiner Gesundheit schadest! Mache es lieber, wie wir hier, die weder nach den preußischen noch nach den bayrischen Kammern fragen, || sondern höchstens Kladderadatsch und fliegende Blätter lesen, und uns über „Napoleon den Kleinen“ amüsiren. Nun ist doch grade eingetroffen, was wir Adolph Schubert prophezeiten: Daß er zur Kaiserkrönung nach Paris kommen würde. Habt ihr vielleicht etwas von ihm gehört? –

Die langen Abende so allein hier kommen mir recht spanisch vor. Ich denke dann immer, wie meine lieben Alten sich jetzt vielleicht etwas zusammen vorlesen: Sheakspeare von Gervinus, oder Vilmars Literaturgeschichte, oder ein anderes historisches schönes Werk; zuweilen ängstigt sich auch wohl Mama, wenn Du im Dunkeln spaziren gehst, und nicht zu rechter Zeit nach Hause kommst? –

Bei den Büchern fällt mir [ein], daß jetzt hier „Immanuel Kants sämmtliche Werke“ welche neu 25 fl kosten, für 8 Gulden zu kaufen sind. Freilich ist es nicht die gute Ausgabe von Rosenkranz, sondern die von Hartenstein; aber noch ganz neu und gut erhalten. Anfangs wollte ich es für Dich kaufen; dann fiel mir aber ein, daß es ja Großvater wohl schon hat? Wenn Du es doch zu haben wünschst, so schreibe es mir. Ich glaube, ich werde auch noch tüchtig Kant studiren müssen.

Nun noch einmal die Bitte, daß Du Dir die politica nicht so zu Herzen nimmst, und daß Du lieb behältst Deinen alten, treuen Jungen E. H.

a gestr.: 4; b korr. aus: sich; c gestr: b; d gestr.: zu

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
05.12.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 37450
ID
37450