Triest 15 März 71
Liebste Eltern!
Ihr werdet hoffentlich meinen letzten Brief aus Gratz erhalten haben. Ich reiste Montag 13. März Morgens mit Oscar Schmidt von Gratz ab und kam am Abend hier an.
Gestern Morgen kamen dann auch meine beiden Schüler, die Gebrüder Hertwig aus Mühlhausen (die sogenannten „guten Goldjungen“), welche mich auf der ganzen Reise begleiten werden. Da wir Triest für unsere speciellen Zwecke nicht günstig finden, so werden wir morgen früh mit dem Dampfschiff nach der dalmatischen Insel Lesina abreisen, wo wir 3-4 Wochen bleiben werden. ||
Ich hoffe, wir werden dort recht viel finden. Bitte schreibt mir recht bald und oft. Wir werden dort recht einsam sein. Ich habe hier bestellt, daß mir die hierher adressirten Briefe nachgeschickt werden. Ich bin jetzt wieder ganz wohl. In Wien war ich etwas stark erkältet, von gräulichem Nordost- Wind. Hier ist herrlich milde Seeluft, balsamisch einzuathmen. Frühling ist es hier aber noch nicht. Triest ist weit hinter Genua und Nizza zurück. In Lesina (das in der Breite von Rom liegt) werden wir es aber sehr viel milder finden. ||
Meine Adresse in Lesina ist:
Signore Professore Haeckel
Convento. Lesina.
Dalmatia (via Triest).
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Bitte schickt diese Zeilen auch an Carl, den ich herzlichst grüßen lasse. Er soll uns doch öfters besonders interessante Zeitungsblätter zuschicken. Drucksachen- Porto von dort nach Dalmatien (unter Kreuzband oder Streifband) ist sehr billig (so billig wie in Deutschland). Je 2 ½ Loth kosten nur 1/3 Sgr. (4 Pfennige). ||
Ich hoffe recht gute Nachricht von Euch, liebste Eltern, und von unsern lieben Potsdamern zu bekommen.
Ich habe in den letzten 8 Tagen ungemein viel Menschen gesprochen, zum Theil recht interessante. Näheres darüber im nächsten Briefe, den Ihr über Jena erhalten werdet. Heute muß ich schließen, da ich heute Abend noch meine Sachen packen und an Bord bringen muß.
Mit den herzlichsten Grüßen
Euer treuer Ernst