Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, [Potsdam], vor dem 21. Mai [1885], mit Beischrift von Karl Haeckel

Mein lieber Ernst!

Herzlich danke ich Dir für Deine lieben Zeilen, die mich durch die Nachricht, daß es Euch gut geht, erfreuen; aber betrüben, da sie mir sagen, daß mein Wunsch: Euch zu sehn nicht erfüllt werden kann. Du vertröstest mich auf die Herbstferien. ungewiß ist es ob ich die erlebe, die Stunden sind jetzt gezählt, und wie Gott es schickt, ist es gut. Da nur es mir Unruh macht; daß ich jetzt nicht, wie ich es wünschte, mit Euch manches besprechen kann, so will ich versuchen ob ich schriftlich es kann, wenn es auch gewagt von mir ist mit meiner Einfalt meinem gelehrten Professer meine Gedanken auszusprechen, so sei es doch gewagt; wenn es auch nur stückweise sein kann. – ||

Dankbar bin ich noch dafür, daß Ihr hier wart und sind mir dadurch die Kinder auch in ihrem ganzen Sein näher gerückt und wenn auch Euer Hiersein zu kurz und zu unruhig war, als daß ich mir irgend ein Urtheil über die Kinder oder Euere Erziehungsweise erlauben dürfte; so erscheint es mir als eine Pflicht als Großmutter offen und ohne Scheu manches, was mir auf dem Herzen liegt, mit Dir, a mein lieber Ernst und Deiner lieben Frau, offen zu besprechen; und ich habe das Vertrauen zu Euch, Lieben, daß Ihr darin keine Anmassung finden werdet und im Gegen-||[teil] daraus, daß ich es mit Euch bespreche erkennen mögt, wie sehr mir das Wohl Euerer Kinder am Herzen liegt. Walter macht auf mich den Eindruck: als wäre er noch einige Jahre jünger und ich freue mich herzlich mit Euch, daß seine Erziehung jetzt im rechten Gleis ist, mir thut der Junge so leid, und ich fürchte das Leben wird ihm noch manchen Kampf bringen, doch welcher Mensch erringt sein Lebensziel ohne Kampf und Mühe. Mir ist es nur sehr leid, daß seine Confirmation so äusserlich, ohne inneres Leben abgemacht ist worden, und dann durch die unternommene Reise verwischt werden mußte. Gott gebe es, daß er einen guten Kampf habe möge. ||

Euere Lisbet scheint mir ein von Naturanlagen begünstigtest Kind zu sein, aber es wird noch viel da müssen beschnitten und geleitet werden, damit die ihr gegebenen Naturanlagen sich zum Guten entwickelen; und das geht beim Mädchen sehr schnell. Gewöhnlich wird im Leben die Erziehung derselben zu oberflächlich und leicht genommen und doch fordert das Leben von jeder Frau so viel Opferfreudigkeit überhaupt Bereitwilligkeit zu dienen und zu helfen. Von Natur neigt die Frau so sehr dazu, sich gehn zu lassen, und || das Leben spielend zu nehmen. Und doch ist jetzt das Leben so gestaltet, daß der Frau die ernstere Seite; der Erziehung der Kinder etc zufällt und damit sie fähig wird ihren Beruf zu erfüllen muß sie zeitig lernen sich selbst zu beherrschen; und mich drängt es meine Ansicht Euch auszusprechen, und die dringende Bitte an’s Herz zu legen grade jetzt im dem Alter worin jetzt Lisbet steht mit allem Ernst daran zu arbeiten, daß sie lernt: das Leben recht zu nehmen und sich lernt zu beherrschen; nicht || spielend, sondern mit Kampf und Müh erreicht jeder das Ziel.

Doch ich sehe es daß Euch Beiden, meine liebe Agnes und Ernst, mein Geschwätz zu viel wird und ich fühle es nur zu deutlich, daß es mir nicht mehr möglich ist: aus zu sprechen, was ich wünsche, deshalb hätte ich Euch so gerne noch gesehn, wo dann mündlich alles sich leichter bespricht. Nun bitte ich nur noch mir nicht böse zu sein, daß ich mich in Euere Angelegenheiten mische, und erkennt nur darin || meinen Wunsch, daß ich gerne möchte behülflich bei der Erziehung Euerer Kinder zu sein. Gott gebe Euch noch viel Freude an der Entwicklung und dem Wohlergehen derselben und behaltet lieb Euere alte, kröpliche Mutter Lotte, die es gut mir Ihren Lieben meint. Verbrennt nur bald diesen Wisch, denn ich kann keinen Brief mehr schreiben. Nun was Gott schickt ist gut. Wir können aus den Kindern nicht machen, was wir wollen, wie müssen nur die geistige Auswüchse beschneiden. – – ||

21/5

Diese Zeilen liegen schon mehre Tag, ohne daß ich sie fertig brachte und ich weiß nicht, ob ich sie noch abschicken soll, aber es sei doch, denn ich weiß doch daß es mir nicht möglich sein wird meine Gedanken besser auszusprechen: alte Leute sollen und können keine Briefe mehr schreiben.

Behaltet lieb

Euere

alte Mutter

Lotte Häckel

Karl ist vorgestern hier glücklich angekommen

[Beischrift von Karl Haeckel]

und dankt Dir herzlich für die freundliche Beherbergung und „ordentliche gute Verköstigung“. Es ist doch sehr nett, wenn man sich so ein Paar Tage mal wiedersehen u. sprechen kann. Wünsche Dir übrigens ein glückliches Ueberstehen alles Pfingsttrubels. Ade; herzl. Gruß Deinem ganzen Hause von Deinem treuen Bruder

Karl.

a gestr.: un

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
vor 21.05.1885
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 37001
ID
37001