Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, [Berlin, 6. Oktober 1871]

Freitag Abend.

Mein lieber Herzens Ernst!

Hoffentlich bist Du gestern wohlbehalten und glücklich zu Hause angekommen und hast Deine liebe Frau und die Kinder gut angekommen [!]; sagea nur Deiner Agnes: wenn sie Dich auch ein paar Tage entbehrt habe, so sei mir doch durch Dein Hiersein, durch Deineb sorgende Liebe eine unaussprechliche Wohlthat in diesen schweren Tagen geworden; um [!] ich danke Dir noch innigst für alle mir erwiesene Liebe. – ||

Du hast mich dadurch so verwöhnt, daß es mir ist als müßte ich Dir alles mittheilen und mit Dir besprechen. Gestern Abend bekam ich von Karl ein paar Zeilen, worin er mir sagt; daß nach c genauer Erkundigung, das Testament von Vater müsse eröffnet werden für Pention- und Witwehnkasse, dasselbe hatte mir schon Julius sagen lassen. Karl schrieb auch, ich solle doch heute hinkommen, damit er alles mit || mir besprechen könne. So schwer es mir auch wurde, bin ich nun heute früh um 10 Uhr mit den beiden Jungen hingefahren. Karl fand ich im Bett, der Doctor war bei ihm, das Geschwür war die Nacht aufgegangen, im Halse bessere es sich auch. Karl sieht recht elend aus, er stand aber zum Essen auf, und war mit uns zu Tisch. Viel Unruh scheint ihm die Wohnungsnoth zu machen; und nach reiflicher Ueberlegung wurde beschlossen zu versuchen ob das Haus auf dem Kitz zu || kauffen sei. – Man muß nun abwartten, was draus wird, jeden Falls wird es für alle eine Beruhigung sein, wenn darüber entschieden wird. – –

Was nun meine Angelegenheiten betrifft, so hat Karl die Eingabe an’s Merseburger Stadtgericht gemacht, und ich habe sie unterschrieben, und bei meiner Rückkunft zur Post gegeben recommandiert. – Wenn ich irgend kann, will ich morgen die geschäftlichen Gänge machen. – ||

Die Kinder fand ich gesund und munter, Clara aber sehr angegriffen. – Gestern war Quincke in Potsdam gewesen um nach Karl zu sehn; er war mit den Anordnungen des Potsdammer Arzt einverstanden, beide haben Karl anempfohlen, sich ruhig zu verhalten. Clara und Karl wollten mir wieder ein paar Kinder mitgeben, ich habe aber den Wunsch ausgesprochen: jetzt nicht, später. ||

Ich muß mich ja in das vereinsamte Leben finden, und glaube es ist besser, ich bin jetzt allein auf mich angewiesen. Gott wird helfen. – Von Deiner Schwiegermutter bekam ich gestern auch einen Brief, sage ihr vorläufig Dank dafür; ich werde es selbst thun sobald ich kann; noch ist es mir nicht möglich zu schreiben, ich muß erst innerlich ruhiger werden. – ||

Als ich heute zu Hause kam fand ich unter den angekommenen Briefen auch die Anzeige an Esmarch zurück, mit dem Bemerken, der selbe sei in der Poliklinik nicht zu finden; Ich weiß nicht, was das heissen soll. – Auch fand ich ein Briefchen von Emma Scheller, die mir auch den Tod ihrer Tochter Auguste anzeigt. –

Nun, mein lieber Ernst, für heute Gutenacht; grüsse Frau und Kind herzlich. || Behalte lieb

Deine

alte Mutter

Lotte.

a korr. aus: sagen; b korr. aus: Deiner; c gestr.: Gr

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
06.10.1871
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36999
ID
36999