Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst und Agnes Haeckel, Potsdam, 4. – 8. Juli 1884

Potsdam 4/7 84.

Lieber Ernst!

Schon lange war ich in Sorge um Dich und Deine Frau, da ich merkte, daß Ihr Lieben beide nicht recht wohl wart, und wenn ich nur die Ueberzeugung haben könnte, daß es nun wirklich besser wäre, aber das kann ich nun nicht, da Du denkst: mich zu schonen und mir daher nicht die Wahrheit sagst: ich mögte imer Freud und Leid, was ja beides das Erdenleben mit sich bringt theilen, und die Geheimnißkrämerei verdirbt alles Gemeinschaftlicheleben; sie gehört mit zu der verhaßten Lüge. – ||

Daß Agnes wieder zu kämpfen hat mit dem schmerzhaften Nierenleiden, thut mir sehr leid. Hoffentlich kommt sie vom Bade gesund und frisch heim, und auch ihr lieber Mann möge sich recht erholen. Ich wollte selbst noch an Agnes schreiben, aber es geht nicht, ich fühle mich zu schwach, ich war in der letzten Zeit nicht recht, nun ist es wohl etwas besser; aber der Kopf will nicht. So kann ich Euch Lieben in Jena, nur noch meinen Gruß schicken mit dem Wunsch, || daß Ihr mir Euere Liebe auch so bewahren mögt. Meine Schwester Bertha, die 8 Tage bei mir war, ist heute nach Berlin abgereist. Gott behüte Dich und Dein Haus! Hoffentlich seid Ihr bald wieder ganz frisch, und erfreut Euch dann wieder daheim. Lebt wohl, seid herzlich gegrüßt und behaltet lieb

Euere

alte Mutter

Lotte.

Dinstag. Gestern hatte ich diese Zeilen an Dich, mein lieber Ernst, liegen lassen, weil Karl mitschreiben wollte, ist aber nicht dazu gekommen, heute ist er nach Berlin, meinte ich sollte doch bis morgen mit dem Absenden wartten, da ich aber fürchte, es könne Dich, da Du in Deinem letzten Brief, für den ich Dir herzlich danke, schreibst Du dächtest nach der Sächsischen Schweitz zu reisen diese Zeilen nicht mehr treffen; so will ich lieber diesen Wisch heute abschicken, da er Dir meine beßten Wünsche zur Reise bringen soll. ||

Heute kann ich Dir dann auch sagen, daß es mir viel besser geht, der Kopf ist viel besser, doch darf man ihm nicht zu viel zumuthen; doch ich weiß ja, daß mein lieber Herzenssohn, obgleich ein großer Gelehrter geworden, doch mein altes Herz bleibt, und Geduld mit mir hat. –

Karl war in diesen Tagen vielfach in Anspruch genommen, der Schwiegervater von Herrmann war zum Besuch bei demselben, und da bemüthe sich Karl natürlich ihn mit den Sehenswürdigkeiten Potsdams bekannt zu machen. Behalte lieb

Deine alte Mutter. ||

Liebe Agnes!

Gerne hätte ich Dir noch geschrieben, und Dir meinen Wunsch ausgesprochen, daß das Bad die gewünschte Wirkung haben möge und Du gestärkt zu Deinen Lieben in Euere schöne Häuslichkeit heimkehren mögst. Wenn ich dann noch lebe, so machst Du mir vielleicht die Freude mit den Kindern mich zu besuchen, es ist mir so traurig, daß ich in den letzten Jahren die Kinder so wenig gesehn habe, und sie daher auch wenig kenne. Grüsse sie alle drei herzlich und sage ihnen, wenn sie sich bemühten recht brave Menschen zu werden, so erfüllen sie den Wunsch

Ihrer

sie herzlich liebenden

Großmutter.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.07.1884
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36982
ID
36982