Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Agnes und Ernst Haeckel, Potsdam, 9. – 11. November 1882

Potsdam 9/11 82.

Liebe Kinder!

Schon oft wollt ich Euch Nachricht von mir geben, bin aber immer nicht zum Schreiben gekommen, was mir überdem so schwer wird. Zunächst sage ich Dir Dank, liebe Agnes für Deinen lieben Brief, der mir von Berlin nach geschickt wurde. Da ich schon abgereist war. So gut es mir auch gegangen ist und so viel Dank ich auch Bertha schuldig bin, die so liebevoll alles einrichte, wie sie dachte, daß es für mich gut sei, so wollten doch Die alten Kräfte nicht ausreichen. ||

Im Ganzen hat mir der Aufenthalt in Berlin viel Freude gemacht: ich habe doch viel Verwandte und Freunde wiedergesehen, deren Viele zur Gratulation an Berthas Geburtstag kamen, auch Deine Schwester, liebe Agnes, war da, sie sah sehr wohl aus, ihr Mann weniger frisch. Auch sind wir 2 mal spazieren gefahren, damit ich die vielen Veränderungen sehn sollte, und die sind wirklich großartig: Berlin ist für mich eine ganz neue, fremde Stadt geworden. Bei der ersten Fahrt durch Thiergarten und || einem Theil der Stadt sah ich soviel mir ganz fremdes, beim Göthe Denkmal dachte ich besonders viel an Dich mein lieber Ernst; das ist doch recht schön. Auch der Anblick der Stadtbahn hat in Wirklichkeit nicht so viel Grausiges als ich mir in der Ide gemacht. Bei der zweiten Fahrt kamen wir durch einen andern Theil des Thiergartens nach der Seite, wo sich Berlin so sehr vergrößert hat nach Schöneberka, und kamen über den Curfürstendamm zu Berthas Wohnung zurück. So habe ich viel Schönes genossen, aber das Schönste waren doch die traulichen Plauder Stündchen mit meiner lieben Bertha. – – ||

Während ich in Berlin war starb auch Friedrich Rexxx, der freilich schon lange krank war. Dieser Todesfall ist mir sehr traurig, die arme Frau mit 3 Kindern. Hulda, die bei mir war, ist tief betrübt, aber doch sehr ergeben. – Es ist doch sehr wohlthuend, wenn man auch in den verschiedensten Lebensverhältnissen Naturen findet, in denen eine innere ernste Auffassung sich zeicht. – –

Nächsten Sonntag wird Bertha nach Frankfurt reisen, wo sie bei ihrem Urgroßneffen Gevatter stehn soll bei dem Sohn von Clara Krupp geb. Petersen. ||

Karl ist zu Sonntag Mittag mit Marie und dem jungen Ehepaar zu Liskos eingeladen, da werden die 4 oder 5 Söhne, die dann grade hier sind bei mir zu Mittag sein; wie hübsch wäre es wenn Euere 3 Kinder auch hier sein könnten. Leider sehe ich ja Euere Kinder nur so selten. – –

Als ich in Berlin war, war auch Court Sethe erkrankt, und die kleine Anna lag auch wieder auf dem Streckbet. In der Famielie reist auch Kummer und Sorge nicht ab. ||

Sonnabend d. 11/11.

Mein lieber Ernst, als ich gestern eben dies Geschreibsel an Euch abschicken wollte, erhielt ich Deinen lieben Brief wofür ich herzlich danke. Nun ließ ich es liegen, und besorge alles Nöthige um Deinen Wunsch gleich zu erfüllen; so erhälst Du hierbei 3000 Mark. Da Karl aber noch mit schreiben will, werde ich es erst morgen abschicken. Da ich aber nicht weiß ob ich morgen zum Schreiben aufgelegt bin oder vielleicht auch keine Zeit habe, will ich jetzt noch gleich das Nöthige berichten: || Damit Du bei irgend vorkommenden Fällen Dich gleich origentieren kannst schreibe ich Dir, wo Du alles findest: in dem Blechkasten, der in meinem Leinenschrank steht findest Du die Documente der hier angelegten Capitalien und die Werthpapiere, die ich für Dich aufgehoben habe. Die Coupons dazu findest du in meiner Chatulle. Die ganze Berechnung Deiner Einnahme und Ausgabe findest Du in dem kleinen blauen Buche, zu dem ich auch die Berechnung von den verkauften Papieren gebunden habe; ich denke Du wirst Dich daraus verrechnen können. – – ||

Gegenwärttig steht unsere Berechnung so, daß ich etwas über 5500 Mark vorgestreckt habe. Das wird sich nach und nach decken: theils durch einkommende Zinsen, und dann trit noch manche Veränderung bei den Pappieren ein, so sind die Rhein-Nahe Bahn Obligationen zum Aprill gekündigt, dabei hast Du für 1000 Thaler in Werth.

Sei nur so gut und schreib es mir in Zeiten, wann Du wieder Geld brauchst; alles was einkommt für Dich und mich, und nicht gleich gebraucht wird, || gebe ich hier an den Bankie, von dem ich es jeder Zeit ohne Kündigung erhalten kann. – Uebrigens sei auch vorsichtig, daß Du bei Auszahlungen auch orndliche Quittungen erhälst. Daß Bauen theuer ist, wußtest Du voraus. Nur bitte ich laß Dir dadurch nicht das Ganze verleiden; Du hast es wohl nach Jahre langer Arbeit verdint, daß Du Dich an ein freundliches Heim erfreuen mögst. Gott gebe Euch allen nur auch viel Freude in dem Häuschen, daß Ihr Euch mit Freuden baut. b Vor allem, daß die Kinder brav werden. – ||

Beim Einziehen räume nur Deine Sachen gleich so ein, daß sie übersichtlich leicht zu finden sind: mir ist es immer, daß Du an Bücher, Bilder und sonstigen schönen Sachen mehr Freude haben könntest, als jetzt, wo es scheint, daß Alles ein buntes Kaos ist. – Daß Dein Vortrag über den Adams Pick gefallenc hat, freut mich; wird er auch gedruckt? Deine Reisebriefe habe ich binden lassen, es ist ein stattliches Buch geworden, und lese ich es noch wieder mit viel Freude Euch Lieben allen

herzlichen Gruß von Lotte Häckel.

a eingef.: nach Schöneberk; b gestr.: G; c gestr.: gewirkt; eingef.: gefallen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
11.11.1882
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36926
ID
36926