Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 1. – 8. Oktober 1875

Potsdam 1/10 75.

Lieber Ernst!

Heute ist es 4 Jahr, daß Vater todt ist, ach und für mich ist es eine Ewigkeit, das Leben ist so einsam, wenn man für nichts sorgen darf; und doch ist es ja undankbar, wenn wir nicht das Gute erkennen, was uns geblieben ist. Mir hat es so wohl gethan, daß Du diesmal bei Deinem Hiersein so viel mit mir von meinem unvergeßlichen Mann sprachst, und so ist es mir auch heute ein Bedürfniß, Dir noch || ein paar Wortte zu sagen. Ich las mir heute Abend Häckels Testament wieder, und wenn das ja natürlich seiner Natur nach hauptsächlich nur irdische Dinge betrifft, so spricht sich doch darin seine große Liebe gegen mich und unsere beiden Söhne aus, daß es mir recht wohl that. Und in meinen Söhnen ist mir ja so viel geblieben, ich kann nicht dankbar genug sein, daß beide so brav sind; und ich || danke Euch beiden recht von Herzen für alle Liebe, die Ihr mir beweißt. Gott seegne Euch dafür; und meine Bitte ist auch an Euch, daß Ihr nach meinem Tode auch mit inniger Theilnahme an Einander hängt und mit Rath und That Euch beisteht; wenn ja auch Euer Leben sich äusserlich ganz verschieden gestaltet, das bringt ja der verschiedene Beruf mit sich, aber die innige Liebe darf nicht darunter leiden. ||

8/10

Schon so lange liegen diese Zeilen an Dich, mein Herzens Sohn, unvollendet und ich möchte sie lieber gar nicht mehr abschicken, doch ist es mir als gehöre das, was ich einmal für Dich geschrieben nicht mir sondern Dir. Hoffentlich geht es Dir mit Frau und Kinder gut, und Ihr gebt bald mal ein Lebenszeichen von Euch? Ist denn die Kiste, die ich durch Eisenbahn geschickt angekommen? Wenn das Stück zum Spiegel, was Clara Dir gegeben nicht zu Euerem paßt, so hebe || es nur auf, Clara meint es gehöre zum Spiegel, den Bertha Peters erhalten. Als ich bei Dir war fandest Du in mehrern Laden noch Groschens Frei-Couverts und Marken, die thue nicht weg, und wenn die Post in Jena sie nicht umtauscht gegen jetzt gültige, so schicke sie mir nur gelegentlich; neulich stand hier im Blättchen, daß die mit Groschen bezeichnete Couverts und Marken nur noch im December Gültigkeit im Gebrauch haben, aber noch im Januar bei || jedem Postamt umgetauscht würden. – – Ich kann es Dir hier besorgen, wenn es in Jena nicht geht.a

Der Moselwein für Dich ist abgeschickt, sorge nur, daß er eingekellert werden kann, wenn er ankommt.

Karl wird nächsten Sonnabend nach Herringsdorf nur mit Bertha Petersen die Uebergabe der dortigen Sachen an den neuen Hausverwalter zu übergeben: Mutter Minchen hatte schon bei Lebzeiten Fiol zu Michael gekündigt.

Wenn nichts dazwischen kommt, denke || ich Sonnabend den 16ten nach Berlin zu gehn, und bei Bertha bis nach ihrem Geburtstag der am 20sten ist,b zu bleiben; ich nehme das Mädchen mit, und schliesse die Boutik. – –

Nun nur noch die herzlichsten Grüße an Agnes und die Kinder, die ich fragen laß ob sie die alte Großmutter in Potsdam schon ganz vergessen hätten oder noch daran dächten, wie die Großmutter nur immer den Wunsch habe, daß all ihre Enkel recht fromm und brav werden möchten. ||

In meinem letzten Brief habe ich Dir die Quittung von Heinnrich über die 800 Thaler geschickt, die hast Du doch erhalten? sind auch die Sachen aus Frankfurt gut angekommen?

Nun, leb wohl, mein Herzens Ernst. Gott behüte Dich und Dein Haus! Behalte lieb

Deine

alte Mutter

Lotte Häckel.

a Text weiter am unteren Rand von S. 6: Ich kann … nicht geht.; b Texte weiter am unteren Rand von S. 7: der am 20sten ist,

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.10.1875
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36656
ID
36656