Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Potsdam, 15./16. Januar 1874
Potsdam 15/1 74.
Lieber Ernst!
Der Anfang dieses Jahres war für uns hier durch die große Sorge um Clara so ernst und traurig, daß ich nicht zum orndlichen Schreiben kommen konnte; nun hat sich ja, Gott sei Dank, alles bis jetzt gut gelöst; und wir freuen uns doppelt über den gesunden Jungen nach diesen schweren Befürchtungen; hoffentlich wird nun ferner alles gut gehn. –
Nun muß ich Dir zuerst aussprechen, wie überaus Dein letzter Brief mich beglückt hat, da Du beim Rückblick auf das vergangene Jahr, Dich so befriedigt aussprichst, Dein wissenschaftliches Streben befriedigt Dich, so || wie Du Befriedigung in Deiner Berufsthätigkeit findest. Dabei freust Du Dich Deiner Häuslichkeit, Deines Lebens mit Frau und Kinder. Deine alte Mutter, die nur noch für ihre Kinder lebt, ist dadurch beglückt, Dich glücklich zu wissen; und so möge Gott mein Flehen erhören, und es Euch immer recht wohl gehn lassen, vor allem mögt Ihr Euch bemühen, die Euch vertrauten Kinderseelen recht zum Guten zu leiten; und da bitte ich Dich und Deine Agnes ernstlich, jetzt, nun die Kinder noch klein sind, nicht zu || nachsichtig zu sein, Ihr erleichtert dadurch den Kindern das ganze Leben. Die Kinder sollen frisch und fröhlich aufwachsen, und man muß sich daher hüten zu viel in ihnen hineinzureden; aber entschieden muß man pünktlichen Gehorsam fordern. Du schreibst, daß Ihr oft daran dächtet, wenn Walter so lebhaft sei, wie gut es sein würde, wenn er erst zur Schule ginge; aber darin täuscht Ihr Euch wohl, daß das eine Erleichterung sei, denn die häusliche Erziehung bleibt doch immer die Hauptsache. – ||
Wenn ich auch in der letzten Zeit nicht zum Schreiben an Dich gekommen bin, so habe ich mich doch viel mit Dir beschäftigt, mein lieber Herzens Ernst, und Du hast mir manche einsame Stunde versüßt. Deine Aquarellen sind öfter besehn; dann lese ich viel von Deinen alten Briefen, und Arbeiten; so war ich heute mit Dir auf dem Pick. Ich habe so manches aus Deinem früheren Leben gesammelt, was ich immer gerne durchsehe, und dabei in der Erinnerung lebe. Dabei habe ich denn immer den Wunsch || daß diese Sachen, die mir lieb und werth sind, nach meinem Tode Dir, Deiner Frau und Kindern bleiben sollen. Wenn Du herkommst, werde ich Dir zeigen wo alles liegt; und Du kannst Dir ja denn auch schon jetzt alles nehmen, was Du wünschst. –
16/1
Gestern schickte ich absichtlich diese Zeilen nicht ab um Dir heute noch von Clara zu berichten, die ich heute früh sehr gut fand; ich habe sie nur einen Augenblick gesehn, da ich ja doch nichts helfen darf; auch ist ja alles versorgt: Frl. Dittmann besorgt || Haushalt und Kinder; bei Clara ist eine Warttefrau, der Kleine nimmt die Brust, was er den ersten Tag nicht recht wollte, und so hoffe ich wird es ferner gut gehn, da die Millch ihn scheint zu sättigen, denn gestern Abend hat er von 7 Uhr bis 2 Uhr geschlaffen und dann nach er die Brust gehabt bis heute früh wieder geschlaffen. – Karl ist heute Nachmittag nach Berlin, er schickte mir ehe er abfuhr, Dein Zettelchen, was ich nun gleich hiermit noch || beantwortte: Die für Dich eingenommenen Zinsen habe ich allerdings angelegt, aber das macht nichts ich werde Dir morgen durch Postanweisung von Karl 100 Thaler schicken, ich berechene es dann mit Dir, Anfangs Februar nehme ich wieder Zinsen für Dich ein, also brauchen wir nichts zu verkaufen. –
Ueber die Ankunft Deines letzten Briefes mit dem Renntenschein habe ich Dir schon geschrieben, der Brief war an Dich und Agnes zusammen gerichtet. Wenn Du ihn nicht bekommen, dann ist er verlohren. – ||
Karl hatte auch heute einen Brief von Mutter Minchen, die denkt morgen Mittag von Berlin nach Frankfurt zu gehn, und da ich sie gar nicht gesehn habe, so werde ich, wenn das Wetter leidlich, und mein Kopf vernünftig ist, morgen früh nach Berlin fahren, da ich dann auch Bertha sehe, die ich doch das letzte mal etwas besser fand.
Grüsse Agnes und die Kinder und Dich selbst viel 1000 mal von
Deiner
alten Mutter
Lotte.